FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2019

dass die Stichprobe ein realitätsnahes Bild der BU-Leistungspraxis gibt, denn die sechs Ge- sellschaften decken in Summe über 50 Pro- zent aller Leistungsfälle 2017 ab. Im Bestand der sechs Anbieter gibt es 6,8 Millionen BU- Kunden, von denen 142.200 eine Leistung beziehen. Die BU-Leistungsquote dieser Ver- sicherer beträgt bei 32.808 neuen Anträgen fast 83 Prozent, nach 76 Prozent 2016. „Von systematischer Leistungsverweigerung kann zumindest bei den teilnehmenden Gesellschaf- ten keine Rede sein“, berichtet Michael Fran- ke, der Geschäftsführer des Analysehauses. Die Anerkennung von Berufsunfähigkeit erfolgte 2017 zu 92,7 Prozent bedingungs- gemäß, zu 5,3 Prozent auf Basis einer indivi- duellen Vereinbarung und zu zwei Prozent vor Gericht. Nach Krankheitsbild geordnet wer- den über 30 Prozent der BU-Leistungsanträge bei psychischen Erkrankungen und Verhal- tensstörungen abgelehnt, gefolgt von Krank- heiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes (27 Prozent). Häufigster Ab- lehnungsgrund ist, dass der Grad der Berufs- unfähigkeit nicht wie erforderlich bei mindes- tens 50 Prozent liegt (siehe Grafik unten). Die Leistungsprüfung dauert im Durch- schnitt 180 Tage, also rund ein halbes Jahr. Wer einen Antrag stellt, ist laut Franke und Bornberg im Schnitt 44,2 Jahre alt. Die meis- ten Leistungsanträge kommen von der Alters- gruppe der 47- bis 55-Jährigen. Danach sinkt die Zahl der Anträge. Erstaunlich ist, dass die durchschnittliche Leistungsdauer im BU-Fall nur rund sechs Jahre beträgt. „Da es auch lang andauernde Leistungen gibt, drücken viele Fälle, in denen nur kurze Zeit geleistet wird, den Durchschnitt“, so Franke. Es seien schlicht nicht alle Betroffenen ein Leben lang berufsunfähig. Versicherer reagieren auf einen BU-Leis- tungsantrag häufig mit dem Argument, der Kunde sei zu weniger als 50 Prozent berufs- unfähig. „Die 50-Prozent-Regel ist der abso- lute Schwachpunkt der BU-Versicherung, weil niemand sagen kann, was eigentlich 50 Prozent Berufsunfähigkeit bedeutet“, kritisiert Hans-Peter Schwintowski, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Experte für Privatversicherungsrecht fordert von der Branche eine Klarstellung, an welchen objek- tiven Kriterien der 50-Prozent-Wert festge- macht werden soll. „Verlässliche Kriterien könnte man zusammen mit Medizinern ent- wickeln“, so Schwintowski. Das wäre objek- tiv. „Bisher hat die Branche auf diese Idee überhaupt nicht reagiert“, beklagt er. Doch wie wird der BU-Grad aktuell ermit- telt? „Der Kunde hat die Beweislast“, sagt Makler Heidekamp. Bezweifelt der Versiche- rer, dass die 50-Prozent-Schwelle überschrit- ten ist, stehe der Kunde vor einem Problem, das er aus eigener Kraft kaum lösen könne. Zunehmend seien Gerichte auf Sachverstän- dige angewiesen. „Der gerichtliche Sachver- ständigenbeweis hat in einem Gerichtsprozess den größten Beweiswert“, weiß Heidekamp. Auftragsgutachter Allerdings gibt es offenbar mehrere „Auf- tragsgutachter“ für die Versicherungswirt- schaft. Darauf macht Rechtsanwalt Michael Wortberg aufmerksam, Referent für Versi- cherungsfragen bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Er verweist auf einen Fall, in dem alle Ärzte und Behandler – außer den vom Versicherer beauftragten Medizinern des Gutachterinstituts Interdisziplinäre medizini- sche Begutachtung (IMB) – bestätigten, dass der BU-Kunde dauerhaft zu mindestens 50 Prozent nicht in der Lage ist, seinem Beruf nachzugehen. Wegen des Gutachtens zahlte die Generali jedoch keine BU-Rente. „Das ist kein Wunder“, glaubt Wortberg, denn das IMB werde von Lorenz Schweyer geleitet. Er und weitere seiner Mitarbeiter seien speziell als Auftragsgutachter geschult und nach den Wortberg vorliegenden Unterlagen im größten für die Versicherungswirtschaft tätigen Gut- achterinstitut tätig. Als der Verbraucherschützer beim BU- Versicherer intervenierte und für seinen Mandanten die bedingungsgemäße Aner- kennung der Berufsunfähigkeit verlangte, entschied der Versicherer, den behandeln- den Ärzten keinen Glauben zu schenken und die Rentenzahlung weiterhin zu ver- weigern. „Der Fall liegt mittlerweile dem Landgericht Kaiserslautern zur Entschei- dung vor“, berichtet Wortberg. Der Aus- gang dieses Verfahrens ist offen. Die Redaktion konfrontierte den genannten Gutachter und das IMB mit den Vorwürfen – ohne Reaktion. Die bisher „hier bekannt gewordenen Ergebnisse der Begutachtungen sind durch- Bert Heidekamp, Versicherungsmakler und Sachver- ständiger: „Der Kunde hat die Beweislast.“ » Die 50-Prozent-Regel ist der absolute Schwachpunkt der BU- Versicherung, weil niemand sagen kann, was eigentlich 50 Prozent Berufsunfähigkeit bedeutet. « Hans-Peter Schwintowski, Humboldt-Universität zu Berlin Wenn kein Geld fließt Warum Versicherer die BU-Leistungen ablehnen Das Analysehaus Franke und Bornberg hat bei sechs großen Versicherern erhoben, aus welchen Gründen sie eine Be- rufsunfähigkeitsrente ablehnten. Die Werte wurden per Stichprobe überprüft. Quelle: Franke und Bornberg (2019) 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % Sonstige Gründe Konkrete, abstrakte Verweisung, Umorganisation Ausschlussklausel Ausschlusstatbestand (bedingungsgemäß) Prognosezeitraum nicht erfüllt Anfechtung, Rücktritt (kausal), Rücktritt und Anfechtung Medizinische Ablehnung (BU-Grad nicht erreicht) , 55 6 % , 23 5 % , 12 8 % 1,0 % 3,1 % 2,4 % 1,6 % Ablehnungsgründe für BU-Leistungen Z www.fondsprofessionell.de | 4/2019 247

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