FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2015
markt & strategie I hans-werner sinn | ökonom 98 www.fondsprofessionell.de | 1/2015 Foto: © Günter Menzl N icht nur sein Aussehen ist markant, auch seine Standpunkte sorgen regel- mäßig für kontroversielle Diskussio- nen: Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, ist Deutschlands einflussreichster Ökonom und scheut sich nicht, auch unbequeme Wahrhei- ten auszusprechen. Aus seiner Haltung in der Griechenlandfrage hat Sinn von Anfang an kein Geheimnis gemacht. Ginge alles nach ihm, wäre das Land schon seit Längerem nicht mehr Mitglied der Währungsunion – und inzwischen wohl schon die längste Zeit mit der Aufarbeitung seines Staatsbankrotts beschäftigt. Im Interview mit FONDS pro- fessionell erklärt Sinn seine Lösungsansätze für die Eurokrise. Herr Prof. Sinn, ist der Euro schuld an der aktuellen Krise? Wie hätte sich die Finanzkrise entwickelt, wenn es den Euro nicht gegeben hätte? Hans-Werner Sinn: Ohne Euro hätte es wahr- scheinlich dieselbe Subprime-Krise in Ame- rika gegeben, und auch die Erschütterungen des Finanzsystems wären uns nicht erspart ge- blieben. Die Länder Südeuropas wären jedoch nicht in diese Krise gekommen, da sie sich nicht im Euro, sondern in ihrer eigenen Wäh- rung verschuldet hätten. Somit hätten sie sich durch eine Währungsabwertung retten können und ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder verbes- sert. Tatsächlich gab es aber in den Jahren vor der Krise aufgrund der Währungsunion eine Zinskonvergenz, die einen massiven Kapital- fluss durch Europa bewirkte, denn die Märkte übersahen, dass dieser Kapitalfluss zu einer Kreditblase führen würde. Parallel dazu wur- den beträchtliche regulatorische Fehler ge- macht. Banken und Versicherungen mussten für den Kauf von Staatsanleihen kein Eigen- kapital vorweisen, so floss Kredit in einem exzessiven Ausmaß nach Südeuropa. Dieses Kapital wurde wiederum von den Staaten auf- gesogen, um Lohnerhöhungen zu finanzieren, und von der Privatwirtschaft verwendet, um einen Bauboom auszulösen. Das erhöhte die Nachfrage nach Bauarbeitern, was zu Lohn- erhöhungen über dem Produktivitätszuwachs führte. Auch im Staatssektor stiegen die Löh- ne stärker als der Produktivitätszuwachs. All das führte zu einem relativen Preisanstieg gegenüber anderen Ländern der Eurozone, der die Peripheriestaaten letztlich ihrer Wettbe- werbsfähigkeit beraubte. In Spanien kam es etwa zu einer Aufwertung von 25 Prozent, da darf man sich nicht wundern, dass die spani- sche Industrieproduktion um 30 Prozent ein- gebrochen ist. In den anderen Ländern war es zwar nicht so extrem, es ging aber auch in die gleiche Richtung. Angenommen, wir hätten vonAnfang an einen „harten“ und einen „schwachen“ Euro gehabt, hätte dies an den Ver- schuldungsproblemen in Europa etwas geändert? Das Verschuldungsproblem hätte es zum Teil auch gegeben. Allerdings ist Deutschland erst durch den Euro in diese massive Verschul- dungssituation geraten. Nach dem Eintritt in den Euro hatten wir ja das Problem, dass wir zu teuer waren und die Wettbewerbsfähigkeit gering war. Der Staat musste mit Konjunktur- politik dagegenhalten, und das hat die Schul- denquote nach oben getrieben. Ohne den Euro hätte es die deutsche Verschuldungskrise in diesemAusmaß also nicht gegeben. Und auch die anderen Länder hätten sich nicht in die- sem Umfang verschuldet, weil die Zinsen nicht gefallen wären. Die hohen Zinsen hätten vor jeglicher Übertreibung geschützt. Schauen Sie mal nach Italien. Dort erzielte man wegen des Euro eine Zinsersparnis, die höher war als das gesamte Mehrwertsteueraufkommen. Hät- ten die Italiener diese Zinsersparnis verwen- det, um die Schulden zurückzuzahlen, läge die Staatsschuldenquote heute nur noch bei 60 und nicht bei 130 Prozent der Wirtschafts- leistung. Der Verlockungseffekt der niedrigen Zinsen hat den Entlastungseffekt der niedrigen Zinsen überkompensiert – ohne Euro hätten sich die Italiener also weniger verschuldet. Man hätte also besser auf den Euro verzichten sollen? Im Nachhinein muss man sagen: ja. Es war ein Riesenfehler, den Schritt in den Euro zu machen. Die aktuelle Krise in Südeuropa, aber auch die Krise in Deutschland vor zehn Jahren hätten vermieden werden können. War die Krise in Deutschland vor zehn Jahren tatsächlich so stark Euro-in- duziert? Nicht nur, ich habe in meinem Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“ im Jahr 2003 die Probleme auf den Euro und die Niedrig- Prof. Dr. Hans-Werner Sinn , Chef des renommierten Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Im Interview erklärt er nicht nur seine Sicht im Hinblick auf die Zukunft des Euro, sondern auch, warum ein Schuldenschnitt für Südeuropa unumgänglich ist. „Wir müssen den Euroraum » Es war ein Riesenfehler, den Schritt in den Euro zu machen. « Prof. Dr. Hans-Werner Sinn Zur Person: Hans-Werner Sinn Hans-Werner Sinn wurde am 7. März 1948 im west- fälischen Brake geboren. Der studierte Volkswirt promo- vierte 1978 an der Universität Mannheim, fünf Jahre spä- ter wurde er an der gleichen Hochschule habilitiert. Der 66-Jährige – er ist verheiratet und hat drei Kinder – ist bereits seit Februar 1999 Präsident des renommierten Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Er hat sich als Ökonom und Autor zahlreicher Wirtschaftssach- bücher einen Namen gemacht. In einer Rangliste der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ist Sinn der einfluss- reichste deutsche Ökonom des Jahres 2014. Kein an- derer Wirtschaftswissenschaftler habe in Deutschland so viel Gewicht in Medien und Politik und sei gleichzeitig auch in der Forschung präsent.
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