FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2015
Heuser: Allerdings muss man doch eines bedenken: Während China zwar für nur rund 15 Prozent der Erträge europäischer Unternehmen steht, kommen dagegen rund 40 Prozent des Wachstums dieser Unternehmen aus China. Stellt aus dieser Sicht nicht die aktuelle Bewertung an den europäischen Aktienmärkten ein Problem dar? Eichler: Um es an einem konkreten Beispiel zu erläutern: Ich war heute zu einem Ge- spräch bei Thyssen. Das Chinageschäft be- trägt bei diesem Unternehmen über alle Ge- schäftsbereiche hinweg rund acht Prozent und ist in den vergangenen Jahren mit fast zweistelligen Raten gewachsen. Und Thys- sen geht davon aus, dass es rund ein, viel- leicht zwei Prozent dieses Geschäfts verlie- ren wird, nur um ein Beispiel von mehreren zu nennen, die man anführen könnte. Natür- lich sieht das bei anderen Gesellschaften wie BMW oder Volkswagen erheblich anders aus, für die China inzwischen den wichtigs- ten Absatzmarkt weltweit darstellt und das vielleicht 40 Prozent der Erträge ausmacht. Aber man muss schon unterscheiden zwi- schen dem Wachstum und der derzeitigen Bedeutung des Geschäfts. Ich erwarte, dass es nicht schrumpfen wird, aber es wird ohne Zweifel ein geringeres Wachs- tum aufweisen. Nehmen wir an, der Auto- mobilmarkt in China wird künftig nicht mit Raten von 50 Prozent wachsen wie in den vergangenen fünf oder zehn Jahren, sondern nur mit einstelligen Raten. Dann haben wir natürlich eine Situation, in der sich die Ertragsdynamik verlangsamt, aber es wird immer noch eine Verbesse- rung des Geschäfts bedeuten, wenn auch auf sehr viel niedrigerem Niveau. Des- halb scheint mir die sehr viel kritischere Frage zu sein, wie scharf der Preiswett- bewerb sein wird, zumal mehr und mehr chinesische Verbraucher auf heimische Produkte zurückgreifen, statt europäische oder japanische Autos zu kaufen. Für Produkte mit hohen Margen – das gilt auch für Luxuswaren – könnte es natür- lich zu einem Stillstand des Wachstums kommen. Ich erwarte keinen Rückgang, aber es wird ein sehr viel langsameres Wachstum sein. Unterm Strich bedeutet das: Es wird eine Anpassung der Erwar- tungen geben müssen, aber es ist keine Welt, in der der chinesische Markt die wirtschaftliche Situation europäischer Unternehmen vor eine große Herausforde- rung stellen wird. Kaldemorgen: Das sehe ich deutlich anders. Ich höre natürlich auch immer wieder das Argument, dass China ja nur für einen gerin- gen prozentualen Teil des europäischen Bruttoinlandsprodukts steht. Aber wir sollten nicht nur auf die direkten Fakten und Aus- wirkungen schauen, die für eine Verlangsa- mung der Exportwirtschaft sorgen dürften. Denn wir werden es mit einer Art Multipli- katoreffekt zu tun haben. Viele Unternehmen haben in neue – wahrscheinlich zu hohe – Kapazitäten investiert. Diese werden nun wohl aufgrund des langsameren Wachstums in China nicht wie erwartet ausgelastet sein. Nahezu jede Gesellschaft, die Waren nach China sendet oder in China produziert, wird ihre Investitions- und Geschäftspläne über- arbeiten müssen. Das wird Auswirkungen haben, etwa im Maschinenbau oder bei Un- ternehmen aus dem Automationsbereich, aber auch in vielen anderen Branchen. Die Investitionstätigkeit der Unternehmen wird in der Zeit, die vor uns liegt, deutlich niedri- ger sein als in der Vergangenheit. Und es wird dieser Multiplikatoreffekt sein, auf- grund dessen das Wachstum in Europa und in der Welt niedriger sein wird. Außerdem sollten wir eines nicht vergessen: China ist ja nicht das einzige Schwellenland, das in einer schwierigen Situation ist, auch Russland, Brasilien und Mexiko stehen unter Druck. Und der niedrigere Ölpreis sorgt schließlich auch nicht überall für Begeisterung. All das belastet das Wachstum in der Welt. Heuser: Was bedeutet das andererseits für die Zinsseite, Herr Huber? Peter E. Huber (Starcapital): Wenn das Wachstum niedrig bleibt – und davon gehe auch ich aus –, dann wird den Zentralbanken nichts anderes übrig bleiben, als weitere Quantitative-Easing-Programme aufzulegen. Daher erwarte ich, dass die Zinsen noch für lange Zeit niedrig bleiben werden. Das ist zunächst einmal kein schlechtes Umfeld für Aktien, ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass es ein besseres Umfeld ist als ein wirtschaftlicher Boom. Natürlich sind die Daten aus China nicht korrekt, so wie sie publiziert werden, aber was die Konsequen- zen daraus angeht, sollte man hinsichtlich des tatsächlichen Anteils an den Erträgen von Unternehmen eines bedenken: Die USA ha- ben einen Anteil von rund 26 Prozent an den Erträgen weltweit, China liegt dagegen bei 14 Prozent. Gleichzeitig weist China eine Marktkapitalisierung von 900 Milliarden US-Dollar auf, dem steht ein Wert von 19.000 Milliarden US-Dollar für den ameri- kanischen Aktienmarkt gegenüber. Das zeigt doch eines: China mag ein Schwellenland sein, das sich in einem Transformationspro- zess befindet. Aber das Land hat einen enor- men Schritt in Richtung Spitzentechnologie gemacht, und es ist im Einsatz und der Pro- duktion von Robotern schon heute führend in der Welt. Das Land befindet sich sozusagen Peter E. Huber: „Wenn das Wachstum niedrig bleibt, wird den Zentralbanken nichts anderes übrig bleiben, als weitere QE-Programme aufzulegen.“ 104 www.fondsprofessionell.de | 3/2015 sauren golden awards 2015 I roundtable Foto: © Christoph Hemmerich » Die Geschehnisse in China werden eher so etwas wie einen psychologischen Effekt haben, zumindest auf die Börsenent- wicklung in den USA. Es sind schließlich gerade einmal zwei Prozent der Erträge im S&P 500 Index, die aus China stammen. « Bill Miller, Legg Mason
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