FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016
lung zu erklären. Der Grund dafür ist wohl darin zu sehen, dass die Wirtschaftssubjekte – also wir alle – selbst unter ähnlichen Rah- menbedingungen völlig unterschiedlich agie- ren. Führt eine Steuersenkung zu mehr Kon- sum? Wenn man nicht Angst um den Job hat, nicht fürchtet, dass im nächsten Jahr eine Steuererhöhung droht, und es keinen Grund gibt, verstärkt privat für den Ruhestand vor- zusorgen, ist die Antwort wahrscheinlich Ja. In einer Zeit, die von der Sorge dominiert wird, dass unser Finanzsystem gefährdet ist, lautet sie hingegen unter Umständen Nein. Der seit Jahren zu beobachtende Boom bei Immobilien ist ja ohne Zweifel auf diese Hal- tung zurückzuführen. Fiskalischer Multiplikator Die Frage, ob ein europaweites Fiskalpaket den Turnaround bringen könnte, können auch die Verfechter dieser Idee nicht zuverlässig beantworten. Der technische Fachbegriff zum Einfluss fiskalischer Maßnahmen lautet „fis- kalischer Multiplikator“. Ist dieser Wert groß, hat auch eine Steuersenkung beziehungsweise Helikoptergeld größere Auswirkungen. Wie groß dieser Wert aber ist, weiß man leider nicht, tatsächlich scheint er sogar zu unter- schiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich groß zu sein. Die Forschungsarbeiten zu diesem Thema liefern jedenfalls nicht die Grundlage für radikale volkswirtschaftliche Experimente. Bundesbank-Chef Weidmann erklärte zu die- sem Punkt: „Empirische Studien kommen in der Regel zu dem Ergebnis, dass die Multipli- katoren in Rezessionen und in Situationen, in denen die Konsolidierung während einer Finanzkrise erfolgt, tatsächlich größer sind. Viele dieser Studien basieren jedoch auf einer unzureichenden Datengrundlage, da es sich bei tiefen Rezessionen um relativ seltene Ereignisse handelt. Zudem ist der Aufbau der- artiger Studien oft vergleichsweise einfach und von Schätzproblemen geprägt. Schließlich gibt es auch Studien, die darauf hindeuten, dass der fiskalische Multiplikator kleiner sein könnte, wenn die öffentlichen Schuldenquoten hoch sind und die Tragfähigkeit der öffent- lichen Finanzen in Zweifel steht.“ Signal aus Kanada Obwohl es bislang – trotz der bescheidenen Erfolge der derzeit verfolgten Strategie – in der Diskussion über zukünftige Schritte un- entscheiden steht, gibt es doch erste Anzei- chen dafür, dass die „Keynesianer“ an Terrain gewinnen könnten. Krugman wertete Mitte Februar anlässlich eines Vortrags am Institu- tional Money Kongress in Frankfurt die Tat- sache, dass die kanadische Regierung hier neue Wege beschreiten will, als so ein Signal. Premierminister Justin Trudeau hatte schon Ende 2015 anklingen lassen, die wegen der Rohstoffbaisse marode Wirtschaft des Landes mithilfe fiskalischer Maßnahmen in Schwung bringen zu wollen. Finanzminister Bill Mor- neau hat sein Budget am 22. März (nach Re- daktionsschluss dieser Ausgabe) vorgelegt, und den Ankündigungen zufolge soll darin ein „fundamental neuer Ansatz“ verfolgt werden. Nun zählt Kanada zu den größten Opfern der Rohstoff-Baisse, und das Land ist mit 85 Pro- zent des BIP auch nicht so hoch verschuldet wie viele andere Staaten. Trotzdem könnte es, sollte ein solches Fiskalprogramm messbare Erfolge bewirken, mittelfristig auch andere Ländern zur Nachahmung animieren. GERHARD FÜHRING | FP markt & strategie I makroökonomie Foto: © Capco Varoufakis’ ignorierter Rettungsplan für Europas Wirtschaft Yanis Varoufakis ist eigentlich Wirtschaftswissenschaftler, und schon lange bevor er seine ebenso kurze wie turbu- lente Karriere als Finanzminister absolvierte, publi- zierte er gemeinsam mit seinen Forscherkollegen James K. Galbraith und Stuart Holland eine Ar- beit, in der versucht wurde, eine Lösung für Europas Wirtschaftsprobleme zu formulieren. Ihr Bestreben bestand dabei darin, so weit dies möglich ist, innerhalb der aktuell bestehenden Verträge und Abkommen zu bleiben. Zu Recht gingen die Ökonomen nicht davon aus, dass eine Idee in Angriff genom- men werden könnte, die eine grundsätzliche Änderung der rechtlichen Architektur des Euroraums verlangen würde. Der Titel des Buchs lautet „Bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ . Dieser Vorschlag nimmt vier Problemkreise der Eurozone ins Visier und versucht sie parallel zu lösen. Vereinfacht dar- gestellt sieht die wich- tigste Idee – jene zur Konjunkturbelebung – so aus: In einem gemeinsa- men Programm investiert Europa in alternative Energie- konzepte, also eine Energie- wende auf europäischer Ebe- ne. Finanziert wird das Projekt mithilfe der Europäischen Investitionsbank (EIB) und des Europäischen Investi- tionsfonds (EIF). Beide Institutionen sind für exakt solche Vorhaben geschaffen und „gehören“ den Euroländern. Anders als bei der üblichen Vorgangsweise der EIB werden die Projekte aber nicht an Ort und Stelle vom jeweiligen Land kofinanziert, statt- dessen spricht die EZB eine Garantie dafür aus, die EIB-Anleihen zu kaufen, wenn ihre Kur- se sinken sollten. Der Ex-Finanzmi- nister und seine Mitautoren gehen davon aus, dass angesichts der aktuellen Zinssituation eine sol- che EZB-Garantie sehr viel pri- vates Sparkapital in diese Inve- stitionsvorhaben locken würde. Die EZB sollte im Gegenzug aufhören, monatlich Staatsan- leihen in Milliardenhöhe zu kaufen, was erstens die Märkte austrocknet und zwei- tens bisher kaum konjunk- turelle Wirkung gezeigt hat. Varoufakis ist von dem Konzept überzeugt, weil kein Eurostaat zusätzlich Schulden aufnehmen müsste, EIB und EIF solche Projekte seit vielen Jahren finanzieren und daher über die Kompe- tenz und die Infrastruktur verfügen und Anleger angesichts negativer Zinsen extrem an einem solchen Investment in- teressiert sein müssten. Auch die Gefahr, dass die Garan- tie der EZB schlagend würde, hält er für minimal. Was das Investment betrifft, würde diese Maßnahme den mehr oder weniger sinnlosen Kauf von europäischen Staatsanleihen ersetzen und dabei ein Ziel verfolgen, das ohnedies auf der politischen Agenda steht. Ein Ausbau alternativer Energieprojekte sei, so Varoufakis, ohnedies unvermeidbar, will man die bekannten Klimaziele errei- chen. Hinzu komme, dass der Ölpreis aller Voraussicht nach nicht für immer bei 35 US-Dollar bleiben werde. Weil Sonnen- und Windkraftwerke vor allem im Mittel- meerraum die günstigsten Voraussetzungen vorfinden, würden davon südeuropäische Länder besonders profitie- ren. Trotzdem böten sich auch Chancen für Technologie- unternehmen aus Deutschland, Frankreich und anderen Staaten. Es herrsche auch kein Mangel an passenden Projekten, vielfach lägen diese derzeit aber auf Eis, weil die EIB solche Vorhaben nicht im Alleingang finanziere und Europas Peripherieländer aufgrund der ihnen aufer- legten Sparprogramme keinen finanziellen Spielraum haben, hier als Koinvestor zu agieren. Ob diese Idee funktionieren kann oder nicht, lässt sich kaum einschätzen, denn natürlich gibt es viel Wenn und Aber, allerdings stellt es in jedem Fall eine gute Aus- gangsbasis für ein europäisches Investitionsprogramm dar. Der Ausbau alternativer Energiekonzepte erscheint jedenfalls sinnvoller und besser argumentierbar als ein kurzfristiger „Konsumrausch per Hubschrauber“. Yanis Varoufakis: „Bescheidener Vor- schlag zur Lösung Eurokrise“ 130 www.fondsprofessionell.de | 1/2016
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