FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016
293 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 Um ihre Geschäftsmodelle zu verteidigen, implementieren die Banken Teile der neuen Technik in ihre eigene IT-Umgebung. Sie ver- zichten dabei auf den öffentlichen Charakter der ursprünglichen Blockchain und setzen auf eine private Variante, bei der die Daten nur auf den Servern der teilnehmenden Finanzin- stitute liegen. Eine zentrale Verwaltungsstelle verteilt Zugangsrechte, und bei Problemen stehen auch Ansprechpartner aus Fleisch und Blut bereit (siehe Kasten vorige Seite). Während man beim Stichwort Fintech den Eindruck gewinnen kann, dass die Banken der Entwicklung hinterherlaufen, gehören sie bei der Blockchain mit zu den Pionieren. So schlossen sich 42 Großbanken im US-Kon- sortium „R3CEV“ zusammen, um den neuen Ansatz zu erforschen und den grenzüber- schreitenden Zahlungsverkehr zu verbessern. Das Konsortium ist hochkarätig besetzt, unter anderem sind J.P. Morgan, HSBC und Gold- man Sachs beteiligt. Fast alle namhaften Großbanken engagieren sich auch in instituts- eigenen Labors, darunter Namen wie UBS, Bank of New York Mellon und Citibank. Al- lein die britische Bank Barclays soll etwa 75 Mitarbeiter auf das Thema angesetzt haben. Hierzulande beschäftigt sich insbesondere die Deutsche Bank mit dem neuen Verfahren. Einheitlicher Standard gesucht Auch die Ex-J.P.-Morgan-Bankerin und Multimillionärin Blythe Masters, die als die Erfinderin der Credit Default Swaps gilt, setzt auf die neue Technik. Dafür gründete sie die Firma Digital Asset Holdings in den USA und sammelte innerhalb kürzester Zeit über 60 Millionen Dollar Startkapital von namhaften Playern wie ABNAmro, der Deutschen Börse und IBM ein. Einen Großauftrag konnte Mas- ters bereits an Land ziehen: Für die größte australische Börse, die ASX, modernisiert sie mithilfe der Blockchain die bestehenden Abrechnungssysteme. Bei der Vielzahl der Initiativen besteht die Gefahr, dass sich kein einheitlicher Standard etabliert. Manche fühlen sich an das Ende der 1970er-Jahre erinnert, als es im Bereich der Videorecorder zum „Formatkrieg“ kam. Damals machten sich die Systeme Betamax, Video 2000 und VHS gegenseitig Markt- anteile abspenstig. „Damit es richtig Spaß macht, sollte es am Ende nur eine Blockchain für die Bankenlandschaft geben. Wenn jeder wieder sein eigenes Süppchen kocht, wäre eine große Chance vertan“, sagt Oliver Flas- kämper, Vorstand der Internetplattform Bit- coin.de. „Derzeit sieht es aber danach aus, dass es am Ende eine globale Lösung gibt.“ Etablierte Firmen wehren sich Für einige Anbieter, die im Dunstkreis des Finanzsektors arbeiten, könnte die neue Erfin- dung existenzgefährdend werden. „Die Block- chain-Technologie macht ‚Verschiebebahnhö- fe‘ und ‚Durchlauferhitzer‘ wie Swift, Target, Clearstream oder die fünf Gironetze der Ban- ken in Deutschland praktisch überflüssig, da die Banken direkt miteinander über eine ein- heitliche Blockchain kommunizieren könn- ten“, so IT-Experte Flaskämper. Doch nicht jeder glaubt an die vom Betreiber der größten deutschen Bitcoin-Börse prophezeiten Unter- gangsszenarien. Vertreter der angegriffenen Institutionen wehren sich. „Die Technologie befindet sich noch in einem frühen Entwick- lungsstadium, und es gibt zahlreiche Heraus- forderungen zu meistern, bis es zu einer in- dustriellen Anwendung an den Finanzmärkten kommt“, sagt Jürgen Marstatt von Swift Deutschland. „In erster Linie müssen Aspekte wie Reichweite, Verfüg- und Skalierbarkeit angegangen werden.“ Auch an der Sicherheit und am Identitätsmanagement müsse man noch arbeiten. Ob die Anwendung geeignet sei, künftig eine Rolle bei Zahlungen großer Beträge und im Finanznachrichtenverkehr zu spielen, bleibe deshalb abzuwarten. Auch die Bafin pocht darauf, dass die Entwickler die Vorschriften zur Geldwäscheprävention sowie für Clearing und Settlement einhalten müssen. Der neue Ansatz wirft zudem philosophi- sche Fragen auf, die das Selbstverständnis der Banken betreffen: „Es stellt sich die Frage, ob die Kreditinstitute dann noch Kreditinstitute sind oder nicht vielmehr Fintechs, die elektro- nische Plattformen für Peer-to-Peer-Trans- aktionen zur Verfügung stellen“, so Norbert Tofall vom Flossbach von Storch Research Institut in Köln. „Technisch könnte eine Situa- tion entstehen, in der das überschuldete Ban- kensystem, wie wir es kennen, ohne Zusam- menbruch des Zahlungsverkehrs abgewickelt werden kann, weil der Zahlungsverkehr auf Blockchain-Transaktionen beruht.“ Ob und wann es so weit kommt, steht jedoch noch in den Sternen. Der Flossbach-Analyst bremst jedenfalls die Euphorie mancher IT-Enthusias- ten: „Es kann morgen jemand um die Ecke kommen und anwendungsreife Lösungen prä- sentieren, aber auch erst in zehn Jahren.“ Aus einer Vision wird Realität Dass die Blockchain keine Spinnerei abge- fahrener IT-Spezialisten ist, bewies der US- Börsenbetreiber Nasdaq. Er startete vor Kur- zem die Plattform Linq, die den Handel von Anteilen an nicht börsennotierten Unterneh- men mit der neuen Technik ermöglicht. Und die Firma Ripple unterstützt Banken imAus- landsgeschäft dabei, untereinander Geld zu transferieren. Wo bisher noch ein umfangrei- ches Netz aus Korrespondenz- oder Zentral- banken notwendig war, können jetzt Überwei- sungen mittels der Blockchain direkt von der hiesigen Bank an ein ausländisches Institut erfolgen. In Teilen der Finanzwirtschaft ist die Blockchain eben keine Vision mehr, sondern schon längst Realität. MARCUS HIPPLER | FP Jürgen Marstatt, Swift Deutschland: „Die Technologie befindet sich in einem frühen Entwicklungsstadium.“ Thomas Dapp, Deutsche Bank Research: „Sicherheits- fragen werden ohne eine zentrale Instanz geregelt.“
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