FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2016
294 www.fondsprofessionell.de | 1/2016 bank & fonds I blockchain Foto: © Capco Bernd Richter | Capco „Die Büchse der Pandora ist geöffnet“ Bernd Richter, Partner der internationalen Unternehmensberatung Capco, im Interview mit FONDS professionell über die Blockchain-Technologie, deren Auswirkungen auf die Bankenwelt und konkrete Anwendungsbeispiele. D ie 1998 gegründete Unternehmens- beratung Capco hat sich auf Banken, Finanzdienstleister und Versicherer spezialisiert. Die Gesellschaft ist aktuell an 20 Finanzstandorten vertreten. In Deutsch- land, wo Capco insgesamt rund 250 Mitar- beiter beschäftigt, gibt es Büros in Frankfurt und Düsseldorf. Bernd Richter verantwortet als Partner den Bereich Capital Markets. Herr Richter, Sie befassen sich intensiv mit der Blockchain-Technologie. Warum kommt es gerade jetzt zu einem regel- rechten Hype rund um dieses Thema? Richter: Das Interesse hat insbesondere in den letzten sechs bis neun Monaten spürbar zugenommen. Der entstandene Hype lässt sich damit erklären, dass das Prinzip der Blockchain nun seit geraumer Zeit losgelöst vom Bitcoin, der ersten bekannten Anwen- dung der Blockchain, diskutiert wird. Was der Webbrowser Anfang der 1990er-Jahre für das Internet war, ist der Bitcoin für die Block- chain – die erste App, die auf der neuen Technologie aufgesetzt hat. Man kann sagen, dass sich die Blockchain mittlerweile vom Bitcoin emanzipiert hat. Was tut sich auf der Entwicklerseite? Start-ups haben das Potenzial der Blockchain- Technologie längst für sich erkannt – sie schießen förmlich wie Pilze aus dem Boden. Das Epizentrum liegt bislang noch in den USA. Aber auch Europa schläft nicht: In Großbritannien, den Niederlanden, in der Schweiz und Schweden sind ambitionierte Neugründungen in allen Branchen am Start, nicht nur in der Kreditwirtschaft und bei Ver- sicherungen, sondern auch im Medien- und im Health-Care-Sektor. Wie gehen die Banken mit der neuen Technik um? Die Banken haben verstanden, dass Trans- formation ausschließlich durch den Einsatz neuer, innovativer Technologien stattfinden kann, um letztlich Kosten effektiv zu senken und neues Geschäft zu generieren. Die Firma R3CEV hat ein Konsortium von über 40 Großbanken, darunter J.P. Morgan, Goldman Sachs und HSBC, für sich gewonnen, um einen gemeinsamen Standard für die Nutzung der Blockchain-Technologie zu entwickeln, beispielsweise mit Blick auf die Wertpapier- abwicklung. Gleichzeitig forschen die großen Player auch jeweils in neu gegründeten Thinktanks in ihren eigenen Häusern. Können Sie uns eine praktische Anwen- dung für die Blockchain nennen? Es gibt bereits einige Anwendungsfälle, mit denen Bankprodukte und komplexe unterlie- gende Prozesse mit der Blockchain stark ver- schlankt werden können. Erklärtes Ziel ist es, das bisherige Geschäft mit der neuen Techno- logie um ein Vielfaches preisgünstiger abzu- wickeln. Die US-Firma Symbiont arbeitet an einer Emissions- und Handelsplattform für Unternehmensanleihen und syndizierte Kre- dite, die auf der Blockchain-Technologie ba- siert. Das Ziel des Unternehmens ist keines- falls, die Banken zu attackieren, sondern den Instituten eine bessere Technik zu deutlich geringeren Kosten zur Verfügung zu stellen. Denn – und das sollte man trotz der aktuellen Veränderungswelle im Hinterkopf behalten – ganz ohne Banken werden auch die Block- chain-Anbieter nicht auskommen. Das ist vergleichbar mit den Fintechs, die Teile des Geschäftsmodells von Banken zu ihrem Kerngeschäft gemacht haben. Diese benöti- gen meist auch eine Bank im Hintergrund. Welche Haltung nimmt die Aufsicht im Hinblick auf die neue Technik ein? Die Regulierer beobachten die Entwicklun- gen in Sachen Blockchain genau. Jedoch ist die Geschwindigkeit, mit der die technischen Entwicklungen vorangetrieben werden, oft zu hoch, als dass die Regulierer tatsächlich da- rauf reagieren könnten. Für den Markt wäre es daher wünschenswert, dass die Aufsicht aus ihrer bisher eher passiven Rolle zu einer aktiven wechseln würde und mit den Ent- wicklern und Banken diskutiert. Durch die neue Technologie ergeben sich nicht nur Chancen für die Banken, sondern auch für die Regulierer. Woran könnte die reale Umsetzung der Blockchain-Technologie noch scheitern? Die Büchse der Pandora ist geöffnet und lässt sich nicht mehr schließen – so wie einst beim Internet. Eine reale Barriere gibt es nicht wirklich. Der Status quo in den Banken durch die bisherige Technologie sichert zahlreiche Arbeitsplätze in den Unternehmen. Jedes Institut muss individuell für sich die Poten- ziale der Blockchain identifizieren. Sicher ist jedoch, dass über Nacht nicht alles „Alte“ ersetzt werden wird. Dieser Prozess wird sicherlich fünf bis sieben Jahre andauern, manche Schätzungen gehen sogar von zehn Jahren aus. Trotzdem ist es wichtig, alle Be- troffenen frühzeitig mit einzubeziehen und auf eine anstehende Transformation entspre- chend vorzubereiten. MARCUS HIPPLER | FP Bernd Richter, Capco: „Die Blockchain hat sich mittler- weile vom Bitcoin emanzipiert.“
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