FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2016
Beeinflussen der Trend zum Online-Ban- king und auch die aufkommende Robo- Beratung das Geschäft? Gewiss, die Digitalisierung hat auch Effekte. Sie wirkt aber nicht unmittelbar auf das Geschäft selbst. Die Digitalisierung stellt die Frage, wie eine Bank ein Geschäft betreibt. Die Regulierung stellt die viel grundsätzliche- re Frage, ob sich ein Geschäftsfeld überhaupt noch wirtschaftlich betreiben lässt. Aber die Digitalisierung öffnet den Markt für neue Akteure. Auch wenn das zunächst platt klingen mag: Ja, und? Konkurrenz war eigentlich schon immer da. Natürlich kamen da ein paar Akteure hinzu, und der Preiswettbewerb hat zugenommen. Ich glaube aber nicht, dass der Digitalbereich zum einzigen Vertriebskanal in den Geschäftsfeldern mutiert. Natürlich wer- den die Banken im Massenmarkt auch Onli- nelösungen finden müssen. Ich halte aber das Thema Onlineselbstberatung und digitaler Portfolioaufbau für völlig überschätzt. Warum? Ich erinnere mich an die Zeit Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre. Damals kochte die Diskussion um Direktbanken hoch. Da hieß es, das Bankgeschäft sei doch so ein- fach, bald werde es nur noch Direktbanken geben. Heute vereinen diese in Deutschland einen Marktanteil – je nach Geschäftsart – zwischen fünf und deutlich unter zwanzig Prozent auf sich – und der bleibt seit Jahren stabil. Gewiss, es tobt ein Preiskampf unter den Direktbanken. Aber dieses Modell tan- giert Sparkassen, Genossenschaftsbanken und auch private Großbanken in deren Kernge- schäftsbereichen eigentlich kaum. Die führen den Wettbewerb mit ihren Töchtern, aber es bleibt ein eigenes Marktsegment. Der Onlineversandhändler Amazon hat erst das Buchgeschäft umgekrempelt und dringt jetzt immer weiter in andere Bereiche des Einzelhandels ein. Das könnte doch auch den Banken drohen. Aus meiner Sicht gibt es einen zentralen Un- terschied zwischen Amazon und der Finanz- branche: Amazon stellt Artikel zur Verfügung, die jeder Mensch von Kindesbeinen an kennt. Da ist jeder problemlos ein autonomer Selbst- entscheider. Sind Finanzthemen ebenso ein Bereich, mit dem Menschen aufwachsen? Für fünf Prozent vielleicht ja, für 95 Prozent aber nicht. Da ist man schnell am Ende dessen angekommen, was man Otto Normalverbrau- cher zumuten kann. Mit zunehmendem Ab- straktionsgrad und abnehmender Transparenz nimmt die Möglichkeit ab, digitale Vertriebs- strukturen aufzubauen. Damit ist das Modell Amazon nicht so einfach auf den Finanzmarkt übertragbar. Aber der Charme der Robo-Beratung liegt darin, komplexe Fragen zu verein- fachen und am Ende zu einer objektiven Anlageempfehlung zu verdichten. Das möchte ich bewusst als Scheinobjektivität bezeichnen. Kann denn ein Beratungswerk- zeug alle Fragen aufnehmen, die für die Ent- scheidungen eines Menschen relevant sind? Und versteht derjenige, der dieses Werkzeug nutzt, wirklich den Hintergrund und die Bedeutung der Fragen? Ich denke, dass die Zahl der Kriterien und der Abstraktionsgrad so hoch sind, dass Anwender das gar nicht korrekt vermittelt bekommen oder begreifen können. Wie kommen Sie zu dieser Meinung? Ich habe hier eine erhärtete Einschätzung und nicht nur ein Bauchgefühl. Wir führen seit Jahren Kundenbefragungen auf Basis indirek- ter Befragungstechniken und mit Alternativ- fragen durch. Unsere Erfahrungen daraus: Ein Kunde kann eine Frage in ihrer objektiv ge- meinten Form oft gar nicht verstehen. Stellen wir die Alternativfrage, kommen oft Rück- fragen, weil Kunden die ursprüngliche Frage nicht richtig verstanden haben. Unsere Kun- denbefragungen führen wir daher sehr oft im persönlichen Gespräch durch. Wo ich mir digitale Werkzeuge hingegen sehr gut vorstel- len kann, ist in der Beratungsunterstützung. Da ist sehr viel denkbar. Sie sagten, dass die Digitalisierung Effekte auf die Art und Weise hat, wie Finanzgeschäfte geführt werden. Wie sehen die aus? Die Digitalisierung zieht einen Wahrneh- mungswettbewerb nach sich. Die traditionel- len Finanzakteure hatten die Kunden immer Thomas Stegmüller: „Amazon stellt Artikel zur Verfügung, die jeder Mensch von Kindesbeinen an kennt. Sind Finanz- themen ebenso ein Bereich, mit dem Menschen aufwachsen? Für fünf Prozent vielleicht ja, für 95 Prozent aber nicht.“ bank & fonds I thomas stegmüller | compentus 256 www.fondsprofessionell.de | 2/2016 Foto: © Christoph Hemmerich Thomas Stegmüller Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann absolvierte Thomas Stegmüller ein bankwirtschaftliches Fachhoch- schulstudium. Er arbeitete mehrere Jahre bei Genossen- schaftsbanken und sammelte dort Führungserfahrung. Im Jahr 2011 gründete er zusammen mit Nils Schmidt die Unternehmensberatung Compentus. Beide sind dort geschäftsführende Gesellschafter. Stegmüller arbeitet zudem als Dozent an der Akademie deutscher Genos- senschaften in Montabaur und als Gastreferent an der Universität Hohenheim in Stuttgart.
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