FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2016
zwungen durch die Zinssituation – trans- parenter werden müssen hinsichtlich ihrer Kosten? Bläsing: Ich begrüße es durchaus, dass das Versicherungsgeschäft nun transparenter wird. Aber die höhere Transparenz ist ja eigentlich nicht so sehr durch die Zinssitua- tion entstanden, sondern dadurch, dass wir als Versicherer durch die Vorgaben des LVRG in eine im Grunde genommen voll- kommen neue Situation geraten sind. Um zu verdeutlichen, was ich meine, gestatten Sie mir einen zunächst vielleicht etwas seltsam anmutenden Vergleich mit dem Wattenmeer. Als Versicherer sind wir über Jahrzehnte hin- weg sozusagen in der Flut geschwommen, was die Zinsen angeht. Da war es relativ egal, wie es unten drunter im Schlick aussah, denn das hat niemand so recht interessiert. Heute leben wir in einer Zeit extremer Zins- ebbe, und damit wird plötzlich offensichtlich, dass da eine ganze Menge an Unrat am Boden liegt, um den sich bisher niemand wirklich gekümmert hat. Allerdings muss man zur Ehrenrettung der Branche auch fest- stellen, dass inzwischen schon sehr viele Hausaufgaben gemacht worden sind. Jens Bredenbals (FONDS professionell): Aber hat Herr Reiss recht, wenn er eben angedeutet hat, dass die Versiche- rer früher oder später ihre Garantien nicht mehr werden einhalten können? Bläsing: Dem würde ich vehement wi- dersprechen. Ich kenne keinen Versiche- rer, der nicht in der Lage wäre, auf dem jetzigen Niveau seine Garantiezusagen, die er eingegangen ist, zu erwirtschaften, selbst bei stagnierendem Zins. Es kommt aber ein ganz anderes Problem ins Spiel, und das ist die Finanzierung der Zinszu- satzreserve, die sich in der jetzigen Situa- tion für die Versicherer als eine echte Herkulesaufgabe erweist. Aber unabhän- gig davon noch ein Satz zur Situation und zum Bedarf des Kunden: Was man aus meiner Sicht in der aktuellen Diskussion um niedrige Zinsen nämlich aus den Augen verloren hat, das ist die Tatsache, dass wir in Deutschland vor einem enor- men demografischen Problem stehen. Deshalb bin ich aktuell der Politik sogar ein wenig dankbar, dass im Zusammen- hang mit niedrigen Zinsen die Diskus- sion um eine drohende Altersarmut und die Frage, ob Menschen im Alter genü- gend Mittel für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung haben werden, wieder aufbrandet. Allerdings ist die Konsequenz, die seitens der Politik daraus gezogen wird, die falsche. Heuser: Was meinen Sie damit? Bläsing: Ich meine den geplanten Aufbau von zusätzlichen staatlich geführten Renten- systemen, worüber man jetzt in der Politik diskutiert. Denn meiner Auffassung nach ist das Thema Vorsorge in der Hand von priva- ten Gesellschaften durchaus gut aufgehoben. Man muss die Menschen nur darauf hinwei- sen, dass das Klagen über zu niedrige Zinsen allein nicht hilft. Wenn ich ein bestimmtes Kapital im Alter benötige, dann hilft in der heutigen Lage nur eins: Die Sparrate muss angehoben werden. Das ist es, was wir den Menschen einfach wieder vermitteln müssen. Da mache ich es mir vielleicht jetzt ein wenig einfach, das gebe ich zu. Aber dieser Aspekt kommt mir ein wenig zu kurz bei der gesam- ten Diskussion über die Niedrigzinsphase. Jaffke: Aber gerade deshalb ist es doch umso trauriger, dass ein Produkt wie die Riester- Rente derzeit so totgeredet wird. Denn genau damit kann es doch gelingen, die Sparrate anzuheben, eben durch die damit verbunde- nen staatlichen Zulagen. Ich habe jede Men- ge Beispiele erlebt, bei denen eine Familie 800 oder 900 Euro an Zulagen im Jahr be- kommen würde, dies aber nicht nutzt. Das ist ein Betrag, den viele selbst gar nicht aufbrin- gen könnten. Bläsing: Das ist mir allerdings auch völlig unbegreiflich, warum die Riester-Rente der- maßen kaputtgeredet und derart diskreditiert wird. Ulrich Neumann (Gothaer Versicherung): Ich glaube, dass es einer Art Lernprozess so- wohl auf Kundenseite wie auch auf Seiten der Verbraucherschützer und generell am Markt bedarf. Viele Marktteilnehmer haben noch eine Verzinsung von sieben Prozent im Hinterkopf, wie es sie vielleicht vor der Jahr- tausendwende einmal gegeben hat. Vor die- sem Hintergrund erscheint natürlich die heu- tige Verzinsung von vielleicht durchschnitt- lich 2,8 Prozent im Bestand eines Versiche- rers als viel zu gering. Und viele stellen des- halb nun die Lebens- oder Rentenversiche- rung in Frage. Ich glaube, wenn Kunden, Verbraucherschutz und der Markt allgemein irgendwann einmal realisieren, dass der Zins noch sehr lange auf dem heutigen Niveau bleiben wird, dann kommt einer solchen 2,8-prozentigen Durchschnittsverzinsung im Bestand eines Versicherers wieder eine ganz andere Bedeutung zu. Ich denke, auch in Japan mussten die Menschen erst einmal ler- nen, dass zwei Prozent eben doch mehr sind als null oder eventuell sogar negative Zinsen. Aber eines steht aus meiner Sicht auch fest: Auf die Frage, wie man sein Geld eigentlich in der Ansparphase anlegen soll, werden Kunden künftig andere Antworten finden als früher. Dietmar Bläsing, Volkswohl Bund: „Ich begrüße es durchaus, dass das Versicherungsgeschäft nun transparenter wird.“ 272 www.fondsprofessionell.de | 2/2016 lebenspolicen-spezial I roundtable Foto: © Cornelis Gollhardt » Aus Sicht unserer Konzern- mutter waren garantierte Produkte ohnehin eine Art Exot. Und Deutschland war der einzige Markt, in dem wir überhaupt noch Garantien angeboten haben. « Christian Nuschele, Standard Life
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