FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2016
100 www.fondsprofessionell.de | 3/2016 markt & strategie I schwellenländeranleihen Foto: © Fotolia | Stanisław Tokarski H yperinflation in Venezuela, innenpoli- tische Krise in Brasilien, Bürgerkrieg in der Ukraine, wirtschaftliche Sank- tionen gegenüber Russland, abgeschwächtes Wirtschaftswachstum in Kombination mit Überschuldungstendenzen bei den Unter- nehmen in China, und was den Nahen Osten betrifft… Dass es angesichts solcher Nach- richten zu einem Run auf Schwellen- länderschulden kommen kann, ist auf den ersten Blick erstaunlich. Etwa seit Mitte Februar stürzen sich Investoren regelrecht auf Schuldtitel, die von Staa- ten und Unternehmen in Asien, Latein- amerika und Osteuropa emittiert wurden. Die Performance führender Emerging- Markets-Anleihenindizes weisen für die- ses Jahr sowohl in Hartwährungen als auch in lokalen Währungen prozentual zweistellige Wertzuwächse auf. Begleitet wird dies von entsprechend hohen Mittelzuflüssen. Die Bank of America Merrill Lynach beziffert sie allein für die sieben Wochen bis Mitte August auf 20,3 Milliarden Dollar – ein neuer Re- kordwert. Gründe für die massiven Kapitalzuflüsse gibt es mehrere, die zentrale Erklärung ist aber der mit dem Niedrigzinsumfeld einher- gehende Anlagedruck. In Zeiten, in denen weltweit deutlich mehr als ein Drittel der zu- meist von Industrieländern emittierten Staats- anleihen negative Renditen abwerfen, sind Emerging-Markets-Anleihen eine der letzten Zufluchtsstätten für Anleger, die positive Er- träge benötigen. 4,44 vs. 0,56 Prozent Rendite Die durchschnittlichen Anleihenrendite im Industriestaaten-Index der Bank of America lag zuletzt bei 0,56 Prozent, der Vergleichs- wert für Schwellenländer hingegen 4,44 Pro- zent. Die vor diesem Hintergrund derzeit vor- herrschende Denkweise bringt Gordian Ke- men, Stratege für Emerging-Markets-Anlei- hen bei Morgan Stanley, auf den Punkt: „Die globale Jagd nach Rendite, unterstützt von geldpolitisch expansiv agierenden G3-Zentral- banken und extrem niedrige Renditen an den Kernanleihenmärkten liefert den Investoren Anreize, in anderen Segmenten inklusive der Schwellenländer nach höher verzinslichen Vermögenswerten zu suchen.“ Daneben verweisen Marktexperten aber auch auf positive volkswirtschaftliche Verän- derungen. So haben sich nach Ansicht von Robert Reichle die Fundamentaldaten bei vie- len Schwellenländern verbessert. Konkret führt der Fondsmanager des Berenberg Emer- ging Markets Bond Selection dafür drei Grün- de an: „In den vergangenen drei bis fünf Jahren sind erstens die Staatsschulden im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt anders als in vielen entwickelten Märkten nicht signi- fikant gestiegen. Zweitens konnten viele Schwellenländer, auch mithilfe der Abwertung der heimischen Währung, ihre Leistungs- bilanzen aufbessern. Viele Schwellen- länder zeigen dadurch nun sogar Über- schüsse. Drittens konnte insbesondere 2016 das Abschmelzen der Devisen- reserven gestoppt werden.“ Wachstumsdynamik dreht Hinzu kommen eine stabilisierte Wirt- schaft in China und wieder etwas gestie- gene Rohstoffpreise. Warum der letzt- genannte Punkt wichtig ist, erklärt Cor- nel Bruhin, Fondsmanager des Mainfirst Emerging Markets Corporate Bond Fund Balanced und des Mainfirst Emerging Markets Credit Opportunities Fund: „Die Erholung der Rohstoffpreise ist der wichtigste Faktor für neues Wachstum in Rekordzuflüsse haben die Kurse von Schwellenländeranleihen in den letzten Monaten auf historische Höchstwerte getrieben. Soll man hier noch investieren? Auf zum nächsten Tanz Da ist noch Musik drin: Weil sie anders als viele Anleihen der Industrienationen noch Zinsen zahlen, wirken Schwellen- länder-Bonds derzeit attraktiv. Eine Beimischung sollte sich lohnen, die Risiken sind aber nicht zu unterschätzen. Wichtiger Wachstumstreiber Anteil der Industrie- und Schwellenländer am Weltwirtschaftswachstum Die Bedeutung der Schwellenländer für das globale Wirtschafts- wachstum hat deutlich zugenommen. Quelle: IWF, Capital Economics 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 -2 % -1 % 0 % 1 % 2 % 3 % 4 % 5 % 6 % 7 % Industriestaaten Schwellenländer Weltwirtschaftswachstum
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