FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2016

Frau Calment. Frau Calments Entscheidung, sich ein lebenslanges Einkommen zu sichern, war genau richtig. Das mag sein, aber Frau Calment ist ein Extrembeispiel. Das gebe ich zu. Aber auch das Alter, das von „normalen“ Menschen erreicht wird, steigt. Es gibt statistische Daten, die fast 200 Jahre zu- rückreichen. Demnach steigt die Lebenser- wartung mit schier unfassbarer Gleichmäßig- keit pro Dekade um 2,5 Jahre. Oder anders formuliert: Jeden Tag steigt die Lebenserwar- tung um sechs Stunden. Doch fast alle Men- schen unterschätzen systematisch, wie lange sie voraussichtlich leben werden. Warum ist das so? Dass wir immer älter werden, sollte sich doch rumgesprochen haben. Das sollte man meinen, doch die Dimension ist den meisten offensichtlich nicht bewusst. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Todes- zeitpunkt der Generation der Eltern und Groß- eltern einen „mentalen Anker“ darstellt. Das ist gefährlich, denn wenn man annimmt, dass eine Generation etwa 30 Jahren entspricht, dann leben wir im Schnitt rund 15 Jahre län- ger als die Generation unserer Großeltern. Mit dieser Argumentation können Finanzberater übrigens auch das typische Argument von Kunden zu entkräften: „Ach, älter als 90 wer- de ich sowieso nicht, und so lange reicht mein Erspartes.“ Damit setzen sich Kunden näm- lich dem am meisten unterschätzten finanziel- len Risiko aus: dem „Mein Geld ist weg, aber ich bin noch da“-Risiko. Ist das Risiko wirklich so groß? Dem Statistischen Bundesamt zufolge hat eine 50-jährige Frau eine Restlebenserwar- tung von 36,2 Jahren, sie wird im Schnitt also 86 Jahre alt. Das ist noch ein gutes Stück entfernt von Frau Calment. Ja, aber Sie sagen ja schon „im Schnitt“. Die- se Lebenserwartung stellt also nur eine Art „Normalfall“ für die durchschnittliche 50-jäh- rige Frau dar. Für die Frage, ob man ein Risi- ko absichert, ist der Normalfall aber irrelevant. Die 50-jährige Frau wird im Schnitt zwar „nur“ 86 Jahre alt, die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren 95. Geburtstag feiern darf, be- trägt aber immerhin 17,2 Prozent. In diesen Zahlen ist der zukünftige medizinische Fort- schritt übrigens zwar berücksichtigt, aber mei- ner Meinung nach stark unterschätzt. Dazu kommt ein weiterer Punkt, über den wir bis- lang noch gar nicht gesprochen haben: Bis- lang hat die staatliche Rente oft ausgereicht, um den Lebensstandard abzudecken, die pri- vate Altersvorsorge war die Sahne obendrauf. Doch das wird wegen des demografischen Wandels nicht so bleiben. Im Rentenversiche- rungsbericht räumt selbst die Bundesregierung ein, dass „die gesetzliche Rente zukünftig allein nicht ausreichen wird, um den Lebens- standard des Erwerbslebens im Alter fortzu- führen“. Das selbst gesparte Geld darf also nicht mehr nur für Luxusausgaben verplant werden, sondern muss auch dabei helfen, den Lebensstandard zu finanzieren. Dies muss aber lebenslang funktionieren. Zumindest das hierfür gesparte Geld sollte man sich daher in jedem Fall in Form einer lebenslangen Rente ausbezahlen lassen. Den Menschen das zu vermitteln halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben eines Finanz- beraters. Und wenn der Kunde mit dem zweiten Totschlagargu- ment kommt: „Ach, eine Rentenversicherung lohnt sich doch gar nicht – bei der niedrigen Rendite“? Das rührt daher, weil die meisten eine Rentenversicherung als Invest- ment ansehen, was sie aber höchstens in zweiter Linie ist. In erster Linie handelt es sich um eine Risikoab- sicherung. Außerdem ist die zu er- wartende Rendite deutlich attrak- tiver, wenn man seine Lebenser- wartung richtig einschätzt. Die tatsächliche Rendite ist für die Leute, die richtig alt werden und deshalb viel Geld brau- chen, sensationell hoch. Für die, die nicht so alt werden, ist die Ren- dite zugegebenermaßen geringer, aber diese Menschen haben auch weniger Bedarf. Der Ausgleich zwi- schen denen, die länger leben, und denen, die früher sterben, ist dabei die Leistung des Versicherers. So wer- den im Versichertenkollektiv Risiken beherrschbar, die der Einzelne nicht beherrschen könnte. Denn im Versi- chertenkollektiv bekommt jeder seine monatliche Rente. Garantiert. Le- benslang. Vielen Dank für das Ge- spräch. BERND MIKOSCH | FP der zweiten Halbzeit “ Jochen Ruß: „Fragen Sie einen Kunden mal, ob er ein Kunstwerk, das eine Million Euro wert ist, versichern würde. Da würde wohl jeder zustimmen. Dass die eigene Arbeitskraft – gerade in jungen Jahren – meist viel mehr wert ist, verdrängen die meisten.“ 313 www.fondsprofessionell.de | 4/2016

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