FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2017
313 www.fondsprofessionell.de | 3/2017 ten, die versicherungstechnischen Rückstel- lungen also, abgezogen. „Bei Lebensversi- cherern, die in der Vergangenheit hohe Garan- tien gegeben haben, fallen die Deckungs- rückstellungen natürlich enorm ins Gewicht“, sagt Thiemermann. Unternehmen, deren Geschäft hingegen hauptsächlich auf Fonds- policen, die Absicherung biometrischer Risi- ken oder Sachversicherungen ausgerichtet ist, schneiden daher in Sachen Solvenzquote grundsätzlich besser ab. Nun geht’s in die Krise Aus der Differenz von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten ergeben sich die aktuell verfügbaren Eigenmittel des Versicherers. „Diese unterziehen wir jetzt einer Vielzahl von Krisenszenarien“, erläutert Marcus Tersi, Leiter Unternehmensplanung und Controlling bei der Alten Leipziger. Die Szenarien sind im Regelwerk von Solvency II definiert und stellen für jedes zu messende Risiko eine Art Super-GAU dar, einen Schock, dessen Eintritt statistisch höchstens einmal in 200 Jahren zu erwarten ist. „Für Lebensversicherer ist das Zinsände- rungsrisiko natürlich das größte von allen“, sagt Tersi. Schließlich würde etwa ein Zins- anstieg die Kurse der langfristigen Papiere in den Kapitalanlagen auf Talfahrt schicken, eine Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen erfordern und die Eigenmittel enorm verringern. „Daher prüfen wir in einer Simulation, wie hoch unsere Eigenmittel sein müssten, damit wir im Falle eines kaum anzunehmenden enormen Zinsanstiegs allen Verpflichtungen gegenüber unseren Kunden nachkommen könnten“, sagt Tersi. Nun werden weitere Krisenfälle durch- gespielt. Untersucht wird zum Beispiel, was geschieht, wenn Menschen im Durchschnitt zehn Jahre länger leben würden als kalkuliert. In einem anderen Szenario wird dagegen eine extrem gestiegene Sterblichkeitsrate – etwa aufgrund von Epidemien oder Naturkatastro- phen – simuliert. Versicherer prüfen zudem, ob ihre Eigenmittel noch ausreichen würden, wenn die angenommenen Stornoquoten plötz- lich um 50 Prozent unterschritten oder wenn kalkulierte Kosten- oder Risikoüberschüsse bei Weitem nicht erzielt würden. „Außerdem spielen wir Marktrisiken wie extreme Einbrüche von Aktienkursen durch, und letztendlich simulieren wir auch, was etwa geschieht, wenn wir für menschliche oder technische Fehler sehr hohe Summen aufbringen müssten“, berichtet Tersi. Diese operationellen Risiken spielen allerdings eine untergeordnete Rolle. Nachdem alle vorge- schriebenen Krisenszenarien simuliert worden sind, dürfen Korrelationen zwischen einzelnen Risiken ermittelt werden. „So erhöhen sich zum Beispiel Langlebigkeit und Sterblichkeit ja nicht gleichzeitig“, erklärt Tersi. Daher dürfen diese Risiken diversifiziert werden. Risiken addieren Aus der Summe aller Risikoszenarien ergibt sich nach der Diversifikation die Höhe des Kapitals, das ein Versicherer benötigt, um in einem 200-Jahre-Krisenfall allen Verbind- lichkeiten gegenüber seinen Kunden nach- kommen zu können. Dieser Kapitalbedarf wird in der Solvency-II-Sprache als Solvenz- kapitalanforderung (englisch: Solvency Capi- tal Requirement, kurz: SCR) bezeichnet. Die Mindestkapitalanforderung (Minimum Capital Requirement, MCR) wiederum muss nach Lars Heermann, Assekurata: „Die Solvenzquote ist nur ein Indikator für die Finanzkraft eines Versicherers.“ Michael Thiemermann, Kivi: „Es ist gut, sich vor Augen zu führen, wie die Quoten eigentlich ermittelt werden.“ „Transitionals“: Diese Übergangsregelungen nutzen deutsche Versicherer Systemwechsel erleichtern: Solvency II vereinheitlicht die Regeln für Versicherer in 28 EU-Mitgliedsländern mit unterschiedlichen Märkten. Da es für die Unternehmen gerade in Zeiten historisch niedriger Zinsen schwierig ist, allen neuen Vorschriften von Anfang an nachzukommen, hat der europäische Gesetzgeber verschiedene Über- gangsregelungen, sogenannte Transitionals, eingeräumt. Diese Maßnahmen dürfen alle Versicherer in der Europäi- schen Union nutzen, je nach Markt und Geschäftsmodell nehmen die Unternehmen in den Ländern jedoch unter- schiedliche Transitionals in Anspruch. Transitional für Rückstellungen: Für die deutschen Lebensversicherer, die ihren Kunden traditionell langfristige Garantien geben, ist die wohl wichtigste Übergangsmaß- nahme das Transitional für versicherungstechnische Rück- stellungen. Unter Solvency II müssen Versicherer ihre Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten zu Marktzinsen bewerten. Um die erforderlichen Rückstellungen für bestehende langfristige Verbindlichkeiten berechnen zu können, müssen die künftigen Zinsen abgeschätzt werden. Dafür sieht Solvency II eine Zinsstrukturkurve vor. Diese Zinskurve und die geänderte Methodik zur Bewertung der Rückstellungen müssen die Versicherer jedoch nicht zwin- gend anwenden. Stattdessen dürfen sie Deckungsrückstel- lungen weiterhin auf Basis des nach dem Handelsgesetz- buch (HGB) geltenden höheren Rechnungszinses diskon- tieren. Damit drücken sie auf dem Papier ihre Deckungs- rückstellungen und hübschen ihre Solvenzquote auf. Zeit für Anpassungen: Übergangsmaßnahmen dürfen bis zum Jahr 2032 genutzt werden. Fallen Deckungsrück- stellungen durch die Diskontierung nach HGB niedriger aus, so haben die Versicherer 16 Jahre Zeit, schrittweise die nötigen Eigenmittel aufzubauen, um die Lücke zu schließen. In jedem Jahr ist ein Sechzehntel der Mittel zu erbringen. Volatilitätsanpassung: Während der europäischen Schuldenkrise ist es in verschiedenen Ländern immer wieder zu starken Abwertungen von Anleihen und hohen Risikoaufschlägen gekommen. Kurzfristig gestörte Märkte würden Rückstellungen für langfristige Verpflichtungen aber stark schwanken lassen, wenn Versicherer das Solvency-II-Modell verwenden. Um diese kurzfristigen Schwankungen zu dämpfen, können die Versicherer eine von der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA angepasste Zinskurve anwenden.
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