FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2017
315 www.fondsprofessionell.de | 3/2017 tert Heermann. Solvenzquoten sind nämlich Stichtagsbetrachtungen. Ändern sich bestimm- te Umstände, so kann die Prozentzahl, die ein Versicherer am 31. Dezember 2017 erreicht, völlig anders ausfallen als ein Jahr zuvor. „Eine Solvenzquote ist daher immer nur ein Indikator“, sagt Heermann. Sie zeigt eine Richtung an, mehr aber auch nicht. „Man kann die Solvabilitätsquote mit dem Body Mass Index vergleichen“, findet Allianz-Ex- perte Riesner. „Zu viel und zu wenig ist ungesund.“ In der Tat ist auch eine sehr hohe Quote nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Immerhin kann sie etwa darauf hindeuten, dass ein Versicherer Überschüsse hortet. „Es ist schwierig, eine exakte Prozentzahl für eine ‚gesunde‘ Solvenzquote anzugeben“, sagt Riesner. Vermittler sollten sie daher beim Vergleich von Unternehmen und Policen zwar als Kennzahl einbeziehen, verlassen dürfen sie sich allein auf den neuen Indikator für Finanz- kraft aber nicht. Denn Solvenzquoten sind alles andere als ein eindeutiges Siegel für Qualität. ANDREA MARTENS | FP Hans-Georg Jenssen | VDVM „Mit Solvenzquoten auseinandersetzen“ Hans-Georg Jenssen, Chef des Maklerverbandes VDVM, über die Aussagekraft der neuen Kennzahl, die Pflichten der Vermittler und die Frage, welche Policen sich noch guten Gewissens empfehlen lassen. V ermittler brauchen keine Solvenz- berichte zu studieren. Was die neuen Quoten bedeuten, müssen sie aber wissen. Hans-Georg Jenssen, geschäftsfüh- render Vorstand des Verbandes Deutscher Versicherungsmakler (VDVM), erläutert im Interview die Hintergründe. Herr Jenssen, die Ermittlung der Sol- venzquoten nach Solvency II ist kom- plex. Zudem können die Versicherer dafür das Standardmodell der Bafin verwenden, interne Modelle entwickeln, einen Mix aus beiden Varianten wählen und darüber hinaus Übergangsrege- lungen nutzen oder auch nicht. Wie aus- sagekräftig und vergleichbar sind die Solvenzquoten überhaupt? Hans-Georg Jenssen: Die Solvenzquote ist nur ein Indikator für die Finanzkraft eines Versicherers, eine zusätzliche Kennzahl. Aber die Quote allein sagt nichts über das Wohl und Weh eines Unternehmens aus. So ist es zum Beispiel möglich, dass die Quote eines Versicherers hoch ausfällt, weil er seinen Kunden kaum Überschüsse gutschreibt. Oder sie ist deshalb niedrig, weil gerade viele Kunden an stillen Reserven beteiligt wurden. Welches der beiden Unternehmen stabiler dasteht, lässt sich an der Quote allein also nicht erkennen. Maklern kann ich daher nur empfehlen, die Solvenzquoten bei ihrer Ar- beit zu berücksichtigen. Dennoch schulden sie ihren Kunden eine Gesamtschau über die Verhältnisse eines Versicherers. Angenommen, ein Makler nimmt genau diese Gesamtbetrachtung vor und ge- langt zu dem Schluss, dass ein Versiche- rer stabil aufgestellt ist, obwohl seine Solvenzquote nicht weit über 100 Pro- zent liegt. Später gerät das Unterneh- men ins Wanken. Haftet der Makler in diesem Fall für seine Empfehlung? Das kommt auf die Umstände an. Wenn der Makler einen Versicherer empfohlen hat, bei dem zum Zeitpunkt der Vermittlung einer Police bereits Schwierigkeiten abzusehen waren, hat er sicher ein Problem. Natürlich wäre es auch grob fahrlässig, das Produkt eines Unternehmens zu vermitteln, dessen Quote sich auf 101 Prozent beläuft, wenn es zehn vergleichbare Versicherer mit Solvenz- quoten um die 150 Prozent gibt. Andererseits kann natürlich kein Vermittler in die Zukunft sehen, daher ist er für plötzlich eintretende Veränderungen auch nicht verantwortlich zu machen. Ich denke, wenn man Policen von Versicherern wählt, deren Quoten im oberen Drittel des Marktes liegen, geht man kein Risiko ein. Wie wichtig ist es für Versicherungs- makler dann überhaupt, die neuen Solvenzquoten zu verstehen? Es ist einem Makler nicht zuzumuten, dass er Solvenzberichte studiert und bis ins Detail nachvollzieht, wie die Quoten verschiedener Versicherer eigentlich zustandekommen. Aber Vermittler sollten sich mit den Solvenzquoten auseinandersetzen, wissen, was sie bedeuten und welche Faktoren hier einfließen. Die Bafin veröffentlicht diese Kennzahlen ja nicht umsonst. Aber wie gesagt: Makler dürfen sich auf keinen Fall nur auf die Quote verlas- sen, sondern müssen weitere Kennzahlen zur Finanzkraft eines Versicherers einbeziehen. Auch das Rating, in dem sich die Solvenz- quote ja auch niederschlägt, ist wichtig. Und was kann ein Makler tun, wenn er bemerkt, dass ein Versicherer, den er empfohlen hat, ins Schlingern gerät? Vermittler bekommen meist laufende Courta- gen, daher kann man wohl erwarten, dass sie die Verträge ihrer Kunden auch imAuge ha- ben. Gerät ein Versicherer ins Wanken, dann sollten Makler die betroffenen Kunden da- rüber informieren. Das gilt umso mehr, wenn das Unternehmen bei Abschluss der Police bereits eine niedrige Solvenzquote hatte. ANDREA MARTENS | FP Hans-Georg Jenssen, VDVM: „Die Quote allein sagt nichts über das Wohl und Weh eines Versicherers aus.“
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