FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2018
116 www.fondsprofessionell.de | 1/2018 kommen wirkt sich schließlich stärker aus), erhält man eklatante Unterschiede. Das Bei- spiel zeigt, dass Finanzmarktteilnehmer solche Daten stets mit Vorsicht betrachten sollten. Das Risiko lebt Auch EZB-Notenbanker Mersch sieht hier keinen Grund zur Entwarnung: „Da die Geld- politik mit langen (...) Zeitverzögerungen wirkt, stehen wir am Ende mit einer höheren Teuerungsrate da, als mit unseremAuftrag zur Gewährleistung von Preisstabilität vereinbar ist.“ Die Notenbank müsste dann sehr rasch Liquidität aus dem Markt nehmen und die Zinsen anheben, damit die Wirtschaft nicht überhitzt. Als Erster wäre von solchen Maß- nahmen der Finanzsektor betroffen, der in Europa ohnehin noch dabei ist, die Krisen- jahre zu bewältigen. „Da die Refinanzierungs- kosten schneller steigen als die Zinserträge aus der Kreditvergabe, könnte dies die Ban- ken schwer treffen“, warnt Mersch. Bei genauerer Betrachtung ist denn auch er- kennbar, dass die Lohnsteigerungen bereits eingesetzt haben. Die Entwicklung wird nur verschleiert: „Je knapper das Arbeitskräftean- gebot, desto eher werden weniger qualifizierte Leute eingestellt. Die verdienen dann in der Regel weniger, und das drückt auf die Löh- ne“, erklärt Permoser. In den USA seien die Löhne jener, die schon länger imArbeitspro- zess sind, bereits viel kräftiger gestiegen als der Schnitt. Ist es nun mit Blick auf die Phillips-Kurve gerechtfertigt, zu fürchten, dass die Inflation schneller anspringt als erwartet? „Auf der einen Seite ja. Ich würde aber die Phillips- Kurve derzeit nur als Risiko definieren und nicht so, dass wir jetzt schon ein Inflations- problem haben“, so Permoser. Er weist darauf hin, dass es falsch wäre, alles der Arbeitslo- sigkeit zuzuschreiben. Die Inflation werde schließlich auch von anderen wichtigen Fak- toren wie dem Ölpreis oder Wechselkursen beeinflusst. Und möglicherweise warten die Notenban- ken aufgrund wirtschaftlich-sozialer Umbrü- che überhaupt vergeblich auf eine lohnindu- zierte Teuerung. Kritiker der Phillips-Kurve verweisen darauf, dass der Einfluss der Gewerkschaften weltweit sinkt, der Faktor Mensch am Arbeitsmarkt durch die Robote- risierung Konkurrenz bekommt und vielen Arbeitnehmern heute die Freizeit wichtiger ist als Lohnsteigerungen. Das alles erzeuge dau- erhaft Druck auf die Löhne. „Wissen nichts über Inflation“ Dass einerseits die Teuerung so lange nicht der Beschäftigung folgt, andererseits aber die Sorgen vor einer spontanen Inflation größer werden, hat in den vergangenen Monaten bei Geldpolitikern Unbehagen ausgelöst. „Unser Rahmenwerk, die Inflationsdynamik zu ver- stehen, könnte in einer sehr fundamentalen Weise fehlerhaft sein“, wird Ex-Fed-Chefin Yellen in der „Financial Times“ zitiert. Und Claudio Borio, Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ): „Wenn wir wirklich ehrlich sind, ist es schwer, die Frage zu vermeiden: Wie viel wis- sen wir wirklich über den Inflationsprozess?“ Das ist eine ernüchternde Erkenntnis, weil sie einmal mehr die Gefahr von Fehlentschei- dungen der Notenbanken verdeutlicht. Adam Posen, Ex-Mitarbeiter der der Bank of Eng- land, meinte gegenüber der „Financial Ti- mes“, wenn die Notenbanken es nicht schaf- fen, die Inflation zurückzuholen, seien Schwierigkeiten vorprogrammiert: „Wir kön- nen ohne Lohnwachstum keine politische Sta- bilität haben.“ Mit diesem Hinweis auf die Löhne beantwortet Posen auch die Frage, warum die Notenbanken auf die Phillips-Kur- ve schauen, obwohl sie brüchig geworden ist. Die Aufgabe der Notenbanken ist damit momentan ein Drahtseilakt. Der wirtschaftli- che Aufschwung soll nicht durch zu frühe oder zu starke Zinsanstiege gefährdet werden, ein – unter Umständen sprunghafter – Infla- tionsanstieg darf auch nicht stattfinden, und das alles muss gesteuert werden, obwohl alte Zusammenhänge nicht mehr in gewohnter Weise funktionieren. Angesichts solcher Unsicherheiten wird auch die Nervosität der Märkte plausibel. Als Anfang Februar die globalen Aktienmärkte kräftig korrigierten, spielten Inflationsängste eine Rolle. EDITH HUMENBERGER-LACKNER | FP markt & strategie I inflation Da kommt die Inflation her – neues Tool visualisiert die Teuerung Wer aufgrund seiner täglichen Arbeit in der Wirt- schaft oder im Finanzsektor ständig die Inflation im Auge behalten soll, weiß: Schnell mal einen ver- ständlichen Einblick in die Teuerung zu bekommen ist nicht leicht. Ämter wie Eurostat liefern zwar eine Fülle von Datenreihen, sobald man aber die Her- kunft der Inflation wissen will oder einen Vergleich zwischen Volkswirtschaften anstellen möchte, muss man sich auf zeitintensive Recherchen einstellen. FONDS professionell ist ein neues Tool aufgefallen, das hier einen echten Mehrwert schafft. Sebastian Koch, Inflationsexperte vom österreichi- schen Institut für Höhere Studien (IHS) hat mit einem Experten der Technischen Universität Wien kürzlich myinflationtool.com freigeschalten. Auf einen Klick liefert die Anwendung individuelle Grafiken: wie sich die Inflation in den einzelnen oder allen Ländern Europas seit 2009 entwickelt hat oder welche Länder bereits klar am EZB-Ziel von rund zwei Prozent angekommen sind – Öster- reich etwa. In Deutschland hingegen mussten die Inflationshoffnungen 2017 begraben werden. Warum das so ist, kann man sich ebenfalls zeigen lassen: Der in Österreich wichtige Servicesektor hat kräftig angezogen. Das Tool lässt bis in die Subaggregate hinein- blicken: Bei Interesse könnte man die Restaurant- teuerung von Estland, Norwegen und der Schweiz vergleichen. Profis können sich sogar das Infla- tionsdifferenzial zwischen den Ländern visualisieren lassen. Das Tool ist zwar auch über die Homepage des IHS abrufbar, wurde aber komplett in Eigenregie erstellt und finanziert, wie Koch erklärt – geboren aus der Not, dass er selbst genug hatte von Datenwüsten, die keinen Überblick bieten. Das Tool könnte noch ausgebaut werden, wenn Investoren gefunden werden. » Wenn wir ehrlich sind, ist es schwer, die Frage zu vermeiden: Wie viel wissen wir wirklich über den Inflationsprozess? « Claudio Borio, BIZ Überblick mit einem Klick www.myinflationtool.com Die österreichische Inflation und woher sie kommt. Das Tool www. myinflationtool.com spuckt alle Details auf einen Klick aus. Quelle: ihs.at
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