FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2018
vor dieser extrem großen Aufgabe. Und wenn andere ihre Hausaufgaben nicht machen, dann ist klar, dass der Erfolg ausbleiben wird. Eine Zentralbank muss ihrer Aufgabe entsprechend alles unternehmen, was nötig ist, um Preis- stabilität herzustellen und zu erhalten. Das tut die Geldpolitik, deshalb ist es nicht ange- bracht, den Zentralbanken vorzuwerfen, sie würden zu selbstgefällig agieren. Was man durchaus hinterfragen kann, ist etwas ganz an- deres, nämlich ob die Geldpolitik wirklich transparent genug und mit dem nötigen Nach- druck die Notwendigkeiten an die anderen Verantwortlichen in Politik, Gesellschaft und Finanzmarkt kommuniziert beziehungsweise weiterträgt. Die Inflation scheint nach wie vor nicht zum Problem zu werden. Die Preise stei- gen zwar moderat, aber wir sind weit entfernt von einer von vielen befürch- teten Hyperinflation. Könnte dieses Gespenst eventuell zurückkehren, etwa wenn es zu einem nachhaltigen Anstieg der Rohstoffpreise kommen sollte? Ich halte nicht viel von solchen Eins-zu-eins- Beziehungen, dazu ist das Geschehen an den Finanzmärkten und in der Geldpolitik viel zu komplex. Sonst wäre auch kaum zu erklären, warum die Zentralbanken derzeit vor einem regelrechten Paradoxon stehen, wenn sie einerseits verzweifelt versucht haben, die In- flation nach oben zu treiben, der gewünschte Anstieg der Preise aber nur vergleichsweise moderat geblieben ist, und das in allen großen Wirtschaftsräumen. Andererseits erwarte ich einfach von einer Zentralbank, dass sie die richtigen Entscheidungen trifft, wenn es zu einem zu starken Anstieg der Inflation kom- men sollte. Ich sehe aber noch eine ganz neue Gefahr, die wir als Lektion aus der jüngeren Vergangenheit im Zusammenhang mit der Finanzkrise gelernt haben. Das ist die Tatsa- che, dass es möglich ist, einerseits Inflation und Preisstabilität zu haben und dass sich andererseits dennoch gefährliche Blasen an den Finanzmärkten bilden können Das müssen Sie ein wenig erläutern. Es ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der Krise von 2007/2008, dass wir keine wirklichen Alarmzeichen oder Hinweise von der Inflationsseite her hatten. Das weit ver- breitete Gefühl dieser Zeit war eher eine Art Goldilock-Situation der Wirtschaft mit guten Unternehmensgewinnen, hoher Beschäfti- gung und nur moderater Inflation. Man konn- te den Eindruck bekommen, man lebe auf ewig in der besten aller Welten mit sehr ge- ringer Output-Volatilität und stabilen Preisen. Wir wissen heute, dass das nicht gestimmt hat, dass wir sehr genau darauf achten müs- sen, systemische Risiken möglichst früh ein- zudämmen oder besser noch zu verhindern. Das war eine Lektion über die unbedingte markt & strategie I jean-claude trichet | ex-ezb 120 www.fondsprofessionell.de | 1/2018 » Eine der wichtigsten Erkenntnis- se aus der Krise von 2007/2008 ist, dass wir keine wirklichen Alarmzeichen oder Hinweise von der Inflationsseite her hatten. « Jean-Claude Trichet Foto: © Christoph Hemmerich Der beeindruckende Lebenslauf des Jean-Claude Trichet Jean-Claude Trichet wurde 1942 in Lyon geboren. Er hat nicht nur drei verschiede- ne Studien (Bergbau, Politikwissenschaften und Ökonomie) abgeschlossen, er absol- vierte auch die Elitehochschule École nationale d’administration (ENA), eine Art Kaderschmiede französischer Verwaltungs- beamten. Nach verschiedenen Stationen in der Politik Frankreichs wurde er im Jahr 1987 zum Leiter des Schatzamtes ernannt, bevor er 1993 vom damaligen Premier- minister Édouard Balladur zum Chef der französischen Zentralbank berufen wurde. Rund zehn Jahre später wurde Trichet vereinbarungsgemäß zum Nachfolger des ersten Präsidenten der EZB, Wim Duisenberg, ernannt. Er erwarb sich schnell den Ruf eines Garanten für die Unabhängigkeit der EZB, als er im Jahr 2004 dem Druck der deutschen und der französischen Regierung, die Zinsen zu senken, widerstand, sowie im Dezember 2005 gegen den Willen von zehn Regierungen in der Eurozone den Leitzins erhöhte. In der Finanzkrise ab dem Jahr 2007 stellte Trichet in Abspra- che mit der US-amerikanischen Federal Reserve den Banken US-Dollar zur Verfü- gung und nahm dafür auf Euro lautende Wertpapiere als Sicherheit an, um die La- ge auf dem Geldmarkt zu entspannen. Die EZB übernahm so Wechselkursrisiken der privaten Banken. Es erfolgten zudem meh- rere Zinssenkungen, die die Leitzinsen im Euroraum auf ein seit Jahrzehnten nicht mehr erreichtes niedriges Niveau brachten. Trichet verantwortete in der Euro-Schuldenkrise auch den Aufkauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Staa- ten durch die Europäische Zentralbank. Seine achtjährige Amtszeit endete am 31. Oktober 2011 mitten in der Staatsschuldenkrise im Euroraum. Sein Nachfolger als Präsident der Europäischen Zentralbank ist Mario Draghi. Jean-Claude Trichet sitzt auch heute noch im Vorstand der G30-Gruppe. Jena-Claude Trichet, Ex-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet: „Ich erwarte einfach von einer Zentralbank, dass sie die richtigen Entscheidungen trifft, wenn es zu einem zu starken Anstieg der Inflation kommen sollte.“
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