FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2018

Notwendigkeit, die Finanzstabilität aufrecht- zuerhalten. Wobei das alles zusammen- genommen natürlich alles andere als eine leichte Aufgabe ist. Bitte noch einen Blick nach vorne: Was macht Ihnen Mut? Aus meiner Sicht legen die Erfahrungen aus der Finanzkrise einen Grund nahe, positiv in die Zukunft zu schauen. Das ist die erwiesene Fähigkeit der Zentralbanken, sich transparent, mutig und schnell zu zeigen im Moment einer platzenden Blase, um die Neuauflage einer Großen Depression zu vermeiden, was dra- matisch für alle Marktteilnehmer gewesen wäre. Dazu gehört auch die Bereitschaft zu der erwähnten Kooperation, die die Zentral- banken an den Tag gelegt haben. Und die Risiken? Es bedarf nach wie vor einer extrem hohen Wachsamkeit, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung der Verschuldung in der Welt, die in mancher Hinsicht immer noch ziemlich alarmierend ist. Verschiedene Arbeiten der G30-Gruppe, der ich angehöre, zeigen, dass das Verhältnis von Schulden zu Bruttoinlands- produkt, das im Jahr 2000 noch bei 250 Pro- zent lag, bis zur Finanzkrise Jahr für Jahr wei- ter gestiegen ist, um 2007 ein Niveau von 275 Prozent zu erreichen. Das ist ein Zuwachs um 25 Prozentpunkte in einer Zeit starken Wirt- schaftswachstums auf globaler Ebene. Gerade weil wir wissen, dass eine exzessive Verschul- dung einer der Gründe für die Finanzkrise war, hätte man erwartet, dass es im Nachgang keinen weiteren Anstieg dieses Indikators gegeben hätte, wenn nicht sogar, dass die Ver- schuldung ein wenig geringer geworden oder zumindest wesentlich langsamer weiter gestiegen wäre. All das ist nicht der Fall nach dem, was wir beobachten konnten. Es ging nach der Krise sogar in der gleichen Ge- schwindigkeit weiter wie vor der Krise. Daher sind wir heute im Grunde in einer alarmieren- deren Situation als vor der Krise. Vielen Dank für das Gespräch. HANS HEUSER | FP markt & strategie I jean-claude trichet | ex-ezb 122 www.fondsprofessionell.de | 1/2018 » Es bedarf nach wie vor einer extrem hohen Wachsamkeit, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Verschuldung in der Welt. « Jean-Claude Trichet Foto: © Christoph Hemmerich Jean-Claude Trichet: „Gerade weil wir wissen, dass eine exzessive Verschuldung einer der Gründe für die Finanzkrise war, hätte man erwartet, dass es im Nachgang keinen weiteren Anstieg der Verschuldung gegeben hätte.“ Jean-Claude Trichet: „Fünf Hauptgründe, warum es überhaupt zu einer Finanzkrise kam“ „Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum das Finanzsystem der entwickelten Volkswirtschaften sich als so zerbrechlich wie ein Kartenhaus gezeigt hat“, erklärte Jean-Claude Trichet in seiner Rede am FONDS professio- nell KONGRESS. Der frühere Notenbankchef nannte die aus seiner Sicht wichtigsten fünf Gründe, die sich zudem gegenseitig verstärkt haben: Zunehmende Komplexität: Ein Mix aus einer zuneh- menden Sophistizierung von Finanzinstrumenten, der Ent- wicklung von komplexen Verbriefungen, die Öffnung von Derivatemärkten aller Art sowie das sehr schnelle Wachs- tum von Schattenbanken und der starke Anstieg von Fremdfinanzierung hatten im Lauf der vergangenen 20 Jahre vor der Krise schrittweise ein Finanzumfeld entste- hen lassen, das in vielerlei Hinsicht komplex, undurch- sichtig und schwer zu entziffern war. Gestiegene Verflechtung: Sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene hatte die Verflechtung zwi- schen den unterschiedlichsten Finanz- und Nichtfinanz- institutionen, Kapitalmärkten und nationalen wie interna- tionalen Volkswirtschaften nicht nur zugenommen, sie wurde durch die Fortschritte der Informationstechnologien und durch die Globalisierung sogar noch begünstigt. Die- se weitgehend unsichtbare Ebene der Vernetzung hat neue, unerprobte Eigenschaften der globalen Finanzwelt herbeigeführt. Falsche Selbstzufriedenheit: Ein weit verbreitetes Ge- fühl übermäßiger Ruhe und Zuversicht sowohl im öffent- lichen als auch im privaten Sektor. Die Annahme einer als Goldilock-Phase bezeichneten Wirtschaftsentwicklung, die den Zeitraum von Mitte der 1980er bis Mitte der 2000er gekennzeichnet hat, vermittelte den falschen Ein- druck, dass die geringe Volatilität sowohl bei der Entwick- lung der Produktion als auch bei Preisen in einem Umfeld stetigen Wachstums und niedriger Inflation deutlich länger anhalten würde und dass es daher nicht mehr der tradi- tionell besonnenen und vorsichtigen Makropolitik bedarf. Trügerischer Glaube an ein Gleichgewicht: Die Gemeinschaft der Marktteilnehmer beherrschte eine Art Konsens in Bezug auf die Effizienz der Märkte in nahezu jedem Umfeld. Das führte zu der Überzeugung, das Fi- nanzsystem werde sich im Grunde nie zu weit von einem optimalen Gleichgewicht entfernen, wodurch die mögliche Existenz multipler Gleichgewichte in den Hintergrund ge- drängt wurde. Das war einer der Gründe, warum die da- mals dominanten dynamischen stochastischen Gleichge- wichtsmodelle zum einen die Krise nicht voraussagen konnten und zum anderen in den drei Quartalen nach dem Lehman-Konkurs große Schwierigkeiten hatten, überzeu- gend zu erklären, was gerade mit der Wirtschaft passierte. Übermäßige Fremdfinanzierung: In den entwickelten Volkswirtschaften nahm die Verschuldung immer weiter zu, ein immer weiter steigendes Übermaß an privatem und öffentlichem Fremdkapital baute sich auf. Dieses Phänomen wurde von der internationalen Gemeinschaft der Marktteilnehmer schon viele Jahre vor der Krise weit- gehend vernachlässigt, die von Hyman Minsky formulierte Hypothese finanzieller Instabilität wie auch die Arbeiten von Irving Fisher zur Schuldenablösungs-Theorie, wonach ein Preisverfall zu sinkenden Nominaleinkommen führt, waren in Vergessenheit geraten.

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