FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2018

98 www.fondsprofessionell.de | 1/2018 dern wird durch praktische Erfahrungen er- gänzt (siehe dazu das Interview mit dem Chef der Steyler Bank ab Seite 296). Nur wenige Häuser beziehen diesen Ansatz allerdings so systematisch in ihren Invest- mentprozess ein wie AGI und haben eigens ein Team geschaffen. Die Gesellschaft stützt sich dabei auf zwei Säulen: zum einen auf mehr als 60 sogenannte „Reporter“. Dabei handelt es sich meist um freiberufliche Jour- nalisten, die für AGI investigativ recherchie- ren. Die zweite Säule ist die mehr als 300 Köpfe starke „Field Force“. Diese Feldfor- scher betreiben Markt- und Meinungsfor- schung per Umfragen. Widersprüche aufdecken Grassroots-Mitglied Jacobi erläutert am Beispiel des USA-Starts der Modekette H&M, wie beide Säulen ineinandergreifen. „Die Reporter sprachen mit den Filialleitern vor Ort sowie mit Konkurrenten und Liefe- ranten. So zeichneten sie ein engmaschiges, genaues Bild, wie das Geschäft verlaufen dürfte“, berichtet Jacobi. Die Feldforscher wiederum positionierten sich vor den neuen H&M-Läden und stellten den Kunden ein paar Fragen: Was hatten sie gekauft, wie war ihr Eindruck von Qualität und Preis, würden sie wieder kommen? Die Ergebnisse dieser Umfrage komplettierten das Bild zum US- Auftakt des schwedischen Textilhändlers – und bestätigten gute Aussichten. Alle Fondsmanager von AGI können sich mit Fragen an das Grassroots-Team wenden. Je nach Fragestellung und Thema gehen mal nur die Reporter investigativ ein Thema an, mal nur das Team für die Markt- und Mei- nungsforschung. Rund 30 Studien im Monat erstellt das Team zu Branchen oder einzelnen Unternehmen (siehe Kasten). Die klassische fundamentale Bilanzanalyse und Analystenschätzungen kann und soll die- se Herangehensweise aber nicht ersetzen. „Wir können nicht auf den Prozentpunkt vorhersagen, ob ein Unternehmen seine Quartalsprognosen übertrifft oder unter- schreitet“, erläutert Jacobi. „Manchmal gelingt uns eine Punktlandung, das ist aber nicht die Regel.“ Es gehe vielmehr um die Frage, ob der Trend stimmt. „Das sind natürlich immer nur Stichproben“, stimmt Collins von Alger zu. „Doch sie geben uns Hinweise, ob die Ergebnisse unserer Ana- lysen und die Prognosen der Unternehmen plausibel sind – oder ob wir selbst nochmal nachrechnen oder beim Management nach- haken sollten. Dieser Researchansatz kann ein guter Realitäts-Check sein.“ Zudem kann der Abgleich den Blick auf Unstimmigkeiten lenken, die sonst übersehen werden – wie 1982 im Fall von „E.T. – der Außerirdische“. Die Eindrücke aus der Praxis an der Ladentheke hätten die Aufmerksamkeit der Investoren vielleicht auch auf weitere Un- stimmigkeiten gelenkt, die nicht in das Bild des als potenziellen Verkaufsschlagers geprie- senen Spiels passten. So rechnete Atari einen Rekordabsatz vor, veranschlagte dabei aber einen Verkauf von zwei Exemplaren pro Computerkonsole – ein illusorischer Wert. Exklusiver Vorsprung So zeichnen die investigativen Reporter und die Meinungsumfragen mitunter ein gänzlich anderes Bild als das Firmenmanagement. Dies kann gar darin münden, dass das Team an Insiderinformationen gelangt. Dies stellt die Researcher vor ein Dilemma. Denn einerseits soll der Grassroots-Ansatz ja gerade einen Wissensvorsprung verschaffen. Doch anderer- seits muss das Haus natürlich auch gesetzliche Meldepflichten achten. „Wir haben für solche Fälle eine stringente Meldekette aufgebaut“, erläutert Jacobi. „Sollten einmal die Alarm- glocken schrillen, werden wir natürlich auch die relevanten Stellen informieren.“ Grund- sätzlich will das Haus die Erkenntnisse aus seinem Graswurzel-Ansatz exklusiv für sich und seine Kunden nutzen. Ein Weiterverkauf als Dienstleistung, wie das etwa Investment- banken, Broker und Researchhäuser mit ihren Aktien- und Branchenanalysen als Geschäfts- modell pflegen, kommt für die Tochter des Versicherungskonzerns nicht infrage. Nie gespart Gefahr droht solchen Ansätzen hingegen von anderer Seite: Mit der Finanzmarktricht- linie Mifid II müssen Asset Manager die Aus- gaben für Research ihren Kunden gegenüber genau aufschlüsseln. Die bislang gängige Pra- xis, dass Investmentbanken und Broker die Gebühren für Studien in die Transaktionskos- ten mit hineinrechnen, ist nunmehr verboten. Der überwiegende Teil der Fondsgesellschaf- ten entschloss sich im Zuge dessen, den Auf- wand für Drittresearch auf die eigene Ge- winn-und-Verlust-Rechnung zu nehmen und nicht den Portfolios – und damit den Kunden – aufzubürden. Kritiker mahnen jedoch, dass die Versuchung damit groß sei, dass Asset Manager aufgrund des wachsenden Kosten- drucks in der Branche ihr Research-Budget zusammenstreichen. Diese Sorge treibt Grass- roots-Mann Jacobi aber nicht um. „Bei uns wurde noch nie gespart und wird auch nicht gespart werden“, ist Jacobi überzeugt, „zumal der Kostenblock sehr gering ausfällt – der Nutzen aber groß ist.“ Das Haus passt allerdings sein Research der Zeit an. So erfolgt die Feldforschung zuneh- mend über Onlineumfragen. Das Team baut zudem die Datenanalyse aus. So stellt etwa der Onlinehändler Amazon eine Fülle an Handelsdaten seiner Plattform frei zu- gänglich ins Netz. Diese lassen sich für Markt- und Trendanalysen nutzen. Das Grassroots-Team erforscht auch, inwiefern sich aus Trends und Stimmungen in sozia- len Netzwerken Rückschlüsse auf das Verhalten von Verbrauchern ziehen lassen. Solche Analysemethoden hätten Ataris E.T.-Desaster wohl viel früher aufgedeckt – und Investoren herbe Verluste erspart. SEBASTIAN ERTINGER | FP markt & strategie I research Foto: © Daniel Banner | AGI Johannes Jacobi, Allianz Global Investors: „Manchmal gelingt uns bei Prognosen eine Punktlandung.“ Grassroots Research von Allianz GI Wichtige Fakten auf einen Blick •1984 gegründet •Zehn Mitarbeiter in Frankfurt, San Francisco und Hongkong •61 freie Reporter weltweit •Mehr als 300 Feldforscher für Meinungsumfragen •Datenbank mit mehr als 50.000 Branchenkontakten •Rund 30 Studien im Monat zu einzelnen Unternehmen oder ganzen Branchen •Rund die Hälfte der Studien entfällt auf die Bereiche Handel & Konsumgüter sowie die Automobilbranche, jeweils rund ein Sechstel auf die beiden Sektoren Gesundheitswesen & Technologie, Telekommunikation & Medien, den Rest teilen sich Industrie & Rohstoffe sowie Finanzwerte Quelle: AGI

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