FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2018

Versicherer neuen Kunden gar keine oder eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung zusandten“, erklärt Schwintowski. Nach der geltenden europäischen Recht- sprechung und zahlreichen Urteilen des Bun- desgerichtshofs (BGH) ist für solche Fälle ein ewiges Widerspruchsrecht vorgesehen (siehe Kasten auf dieser Seite unten). Ob Vermittler dazu verpflichtet sind, ihre Kunden auf die Möglichkeit des Widerrufs hinzuweisen, se- hen Experten unterschiedlich. Schwintowski erkennt klar eine Verpflichtung. „Ein Versi- cherungsmakler ist immer Sachwalter des Kunden“, erklärt er. Der Makler habe ihn daher auf Anpassungsbedarf aufmerksam zu machen. Mehr noch: „Unterlässt der Vermitt- ler es, einen Versicherten auf einen möglichen Widerruf hinzuweisen, haftet er, sofern dem Kunden Geld entgeht, weil er sein Wider- spruchsrecht nicht in Anspruch genommen hat“, sagt der Experte. Auf der ganz sicheren Seite sind Makler, wenn sie mit ihren Kunden prüfen, ob der Widerruf einer entsprechenden Police in Frage kommt. Dafür können sie sich an spezialisier- te Anwaltskanzleien wenden, die Widerrufs- belehrungen von Policen aus dem betreffen- den Zeitraum checken. Allerdings kostet die Prüfung die Versicherten auch dann eine hübsche Summe, wenn sich herausstellt, dass die Belehrung einwandfrei ist. Anders ist es hingegen bei Dienstleistern, die Rückabwicklungen von Lebensversiche- rungen zu ihrem Geschäftsmodell gemacht haben. Einer ist Helpcheck aus Düsseldorf. 2016 zunächst als Onlineportal für Versicherte selbst an den Start gegangen, bietet Helpcheck seit gut einem Jahr auch Kooperationspartnern ein Tool an – Helpcheck Institutional. „In un- ser Online-Erfassungssystem können die Ver- mittler die Daten einer Police eingeben, diese werden dann automatisch an einen unserer Partneranwälte übermittelt“, sagt Günter Kap- pestein, Leiter Vertrieb bei Helpcheck Institu- tional. Die Juristen verfügen über ein Tool, mit dem sie in weniger als 15 Minuten prüfen können, ob eine Widerrufsbelehrung einen von 30 Fehlern enthält, aufgrund derer Ge- richte zugunsten von Versicherten entschieden haben. Dafür wurden über 600 Urteile zur Rückabwicklung von Lebenspolicen ausge- wertet. Liegt ein Fehler vor, berechnet ein weiteres System den Anspruch des Kunden. Da für die Ermittlung der auszuzahlenden Zinsen die monatlichen Nettorenditen des Versicherers zugrunde gelegt werden müssen, ist diese Berechnung hochkomplex. Aktuare brauchen dafür in der Regel einige Tage Zeit und lassen sich den Aufwand vergüten. „Wir haben ein Portal, in das wir unter anderem die monatlichen Nettorenditen aller deutschen Lebensversicherer und einiger ausländischer Gesellschaften über Jahrzehnte zurück einge- speist haben“, berichtet Kappestein. So errech- net das System den Mehrwert-Anspruch des Kunden in wenigen Minuten. Kosten nur im Erfolgsfall Die Prüfung der Widerrufsbelehrung und die Ermittlung des Anspruchs sind kostenlos. Die Kooperationsanwälte von Helpcheck übernehmen alle rechtlichen Schritte bis hin zur Klage, um die Rückabwicklung der Police zu erreichen. Im Erfolgsfall zahlen Versicherte an Helpcheck 25 Prozent des Mehrwerts, also der Summe über dem Rückkaufswert, plus Mehrwertsteuer. Kooperationspartner wieder- um erhalten von diesem Betrag zwischen 20 und 40 Prozent. Bisher bietet Helpcheck seine Dienstleistungen nur Versicherten an, die eine private Rechtsschutzversicherung haben. Ab 2019 wollen die Düsseldorfer auch mit einem Prozessfinanzierer zusammenarbeiten. „Auch bei einer rechtlich möglichen Rück- abwicklung ist immer im Einzelfall zu prüfen, ob sie wirklich sinnvoll ist“, mahnt Schwin- towski. Ist das der Fall, bringt diese Form der Rolle rückwärts allerdings die höchsten Sum- men – für verunsicherte Versicherte. ANDREA MARTENS | FP Foto: © Humboldt-Universität zu Berlin Hans-Peter Schwintowski, Humboldt-Universität Berlin: „Der Vermittler ist der Sachwalter des Kunden.“ Rückabwicklung von Lebenspolicen: Die rechtlichen Grundlagen Die unter bestimmten Voraussetzungen mögliche Rück- abwicklung von Lebensversicherungen basiert auf einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie auf zahlreichen darauffolgenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH). FONDS professio- nell erklärt die Rechtslage. Das „Endress-Urteil“: Das sogenannte Endress- Urteil ist eine Entscheidung des EuGH vom 19. Dezember 2013 (Az.: C-209/12). In dem vom BGH vorgelegten Fall ging es um den Kläger Walter Endress. Dieser hatte bei der Allianz eine Lebensversicherung abgeschlossen und war über sein Widerrufsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Dabei handelte es sich um Belehrungen, die nach Paragraf 5a des alten Versicherungsvertrags- gesetzes (VVG a. F.) geschuldet waren. Das alte VVG war vom 21. Juli 1994 bis 31. Dezember 2007 in Kraft. In seinem Grundsatzurteil entschied der EuGH: Versiche- rungsnehmern, die unter der Geltung des Paragrafen 5a VVG a.F. eine Lebens- oder Rentenpolice abgeschlossen haben und über ihr Widerrufsrecht nicht oder nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sind, steht ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu. Grundsatzurteile des BGH: Dem Endress-Urteil folgte eine Vielzahl von BGH-Entscheidungen, in denen die Richter die Modalitäten der Rückab- wicklung von Lebenspolicen aus dem Geltungs- zeitraum des Paragrafen 5a VVG a.F. konkretisier- ten. Wesentlich sind drei Grundsatzurteile. So stell- te der BGH im Mai 2014 zunächst klar, dass In- haber von Lebenspolicen aus der betreffenden Zeit bei nachweislich nicht ordnungsgemäßer Widerrufs- belehrung auch dann noch ein Rücktrittsrecht haben, wenn die Verträge bereits ausgelaufen oder gekündigt worden sind (Az. IV ZR 76/11). In diesem Fall sind den Versicherungsnehmern alle gezahlten Beiträge abzüglich der Risikokostenanteile zu erstatten. Im Juli 2015 ent- schieden die Richter in zwei weiteren Grundsatzurteilen, dass Versicherer betroffenen Kunden die Abschluss- und Verwaltungsgebühren vollständig zurückzahlen müssen (Az. IV ZR 384/14 und Az. IV ZR 448/14). Das dritte Grundsatzurteil fällte der BGH im November 2015 (Az. IV ZR 513/14). Es besagt, dass Kunden die sogenannten „tatsächlich gezogenen Nutzungen“ zu erstatten sind, also sämtliche Zinsen, die der Versicherer mit den eingezahlten Prämien erwirtschaftet hat. Dafür sind die Beiträge zuvor um die Abschlusskosten sowie um die Risikokostenan- teile zu kürzen, nicht aber um die Verwaltungsgebühren. Nachweispflicht: Die auszuzahlenden Nutzungszinsen müssen basierend auf den monatlichen Nettorenditen des Versicherers errechnet werden. Dabei hat der Versiche- rungsnehmer nachzuweisen, welche Nettorenditen das Unternehmen tatsächlich erzielt hat (BGH Az. Az. IV ZR 513/14). In der Praxis fällt das oft schwer. 236 www.fondsprofessionell.de | 4/2018 fonds & versicherung I rückabwicklung von lebenspolicen

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