FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2018

238 www.fondsprofessionell.de | 4/2018 fonds & versicherung I brexit Foto: © Andrei Korzhyts | stock.adobe.com W er mit der Autofähre vom europäi- schen Kontinent nach Dover über- setzt, den begrüßen dort die be- rühmten Kreidefelsen. Auf britischem Boden angekommen, fährt man direkt über die M20 nach Westen oder die A2 nach Norden ins Landesinnere. Die größte Umstellung für Festlandeuropäer ist das Linksfahrgebot – noch, denn künftig wird es wesentlich größere Unterschiede zwischen der Insel und dem Rest Europas geben: Am 29. März 2019 soll die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs (UK) in der Europäischen Union enden. Das Land wird wegen des „Brexit“ nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes sein, der den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen ermöglicht. Das hat massive Auswirkungen auf die Versicherungswirt- schaft. Britische Gesellschaften, die ihre Ver- träge in Deutschland im Dienstleistungsver- kehr anbieten oder sogar mit einer Niederlas- sung vertreten sind (siehe Grafiken nächste Seite), verlieren als Firmen aus einem Dritt- land ihre „Passporting-Rechte“. Diese erlau- ben den freien Vertrieb von Policen in jedem EU-Land – Versicherer müssen der jeweiligen Finanzaufsicht nur ihre Tätigkeit anzeigen. Für die Gesellschaften aus Großbritannien stehen hohe Summen auf dem Spiel. Der Ge- samtverband der Deutschen Versicherungs- wirtschaft (GDV) schätzt, dass britische Ver- sicherer 2017 für rund 30 Millionen Verträge etwa 16 Milliarden Euro Bruttobeiträge von deutschen Kunden erhielten. Meist handelt es sich um Sachversicherungen, es sind aber auch Lebenspolicen darunter. Eine Reihe von UK-Versicherern hat bereits reagiert, um weiterhin hierzulande tätig sein zu können. Für die Kunden und ihre Makler ist das eine gute Nachricht. Letztlich wäre es für sie aber auch kein großes Problem, falls ihr Anbieter wegen des Brexit aus dem Geschäft in Deutschland aussteigen sollte. Ergebnislose Verhandlungen Die Politik hat der Assekuranz bisher nicht geholfen. Zwischenstaatliche Vereinbarungen, auf deren Basis die Versicherer in Zukunft von der Insel aus ihre Produkte in Europa anbieten könnten, sind bislang nicht in Sicht. Die EU und das Vereinigte Königreich haben zwar offiziell Verhandlungen über das künfti- ge Verhältnis nach dem Austritt beziehungs- weise nach Ablauf der Übergangsfrist, die En- de 2020 auslaufen soll, begonnen. Eine Eini- gung schien zu Redaktionsschluss dieser Aus- gabe aber noch in weiter Ferne. Die britische Regierung hatte im Sommer vorgeschlagen, dass die Gemeinschaft in größerem Umfang Dienstleistungen aus Nichtmitgliedsstaaten in ihrem Binnenmarkt zulässt, sofern deren Regulierungsstandard dem der EU entspricht – das sogenannte Äquivalenzprinzip. Seitens der EU gab es darauf bisher keine offizielle Antwort. Ob sich die Staatengemeinschaft auf eine solche Lösung einlassen wird, war zu Redaktionsschluss völlig offen. Tochter auf dem Festland Um sich von den Ergebnissen der Verhand- lungen unabhängig zu machen, haben manche britische Versicherer eine Tochter in Deutsch- land oder einem anderen EU-Land gegründet. „Die Tochtergesellschaft in der EU muss rechtlich selbstständig sein und damit in finan- zieller Hinsicht – etwa bei Deckungsrückstel- lungen oder dem Leitungspersonal – unabhän- gig von ihrer Mutter in Großbritannien agie- ren können“, erklärt Thomas Leithoff, Rechts- anwalt in der Berliner Kanzlei Johannsen. Briefkastenfirmen würden nicht akzeptiert. „Zudem muss die jeweilige nationale Auf- sichtsbehörde auf den Versicherer einwirken können, daher muss ein eigenständiger EU- Risikoträger gegründet werden“, ergänzt Bernd Einmold, der als Director Carrier Management bei Aon die Geschäftsbeziehun- gen des Großmaklers mit Versicherern verant- wortet. Schließlich gehe es immer darum, den Kunden zu schützen. Diesen Weg hat bereits eine Reihe großer Versicherer beschritten. Anbieter wie Aviva, Hiscox, Lloyds, RSA und Standard Life haben Gesellschaften in Luxemburg, Belgien oder Irland gegründet oder erworben. Das britische Recht erlaubt gemäß Artikel VII des „Financial Services and Markets Act“ von 2000, ein Portfolio an Verträgen oder den gan- zen Bestand von einer Unternehmenseinheit auf eine andere zu übertragen. Allerdings muss ein britisches Gericht dem zustimmen, was seine Zeit dauert. Die Versicherer haben Britische Versicherer verlieren mit dem Brexit wohl das Recht, ihre Policen in Deutschland zu verkaufen. Kunden und Makler dürfen dennoch relaxed bleiben. Sicherer Abschied Die Uhr tickt – und die Verhandlungen sind festgefahren. Passiert nicht noch ein kleines Wunder, verlässt das Vereinigte Königreich Ende März kommenden Jahres die Europäische Union – mit heftigen Folgen für die Wirtschaft.

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