FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2018

Foto: © Martin Peterdamm Photography I n seinem Büro im Berliner Regie- rungsviertel stehen bereits die Um- zugskartons. Bald wird Gerhard Schick es verlassen, um seine Arbeit in der Geschäftsstelle der „Bürgerbewegung Finanzwende“ aufzunehmen. Diese hat er am 15. September 2018 gegründet, am zehnten Jahrestag des Zusammenbruchs der US-Investmentbank Lehman Brothers. Seit Schick 2007 finanzpolitischer Spre- cher der Grünen im Bundestag wurde, hat er mit fundierten Fachkenntnissen den Finger in viele Wunden gelegt. Zum Jahresende gibt er sein Bundestagsmandat ab. Sich vom Bundestag zu verabschieden fällt ihm nicht leicht. Auch der Auszug aus seinem Büro kommt ihm seltsam vor. 13 Jah- re hat er hier gearbeitet. „Das ist länger, als ich jemals in einer Wohnung gewohnt habe“, sagt Schick. Herr Schick, auf den Tag genau zehn Jahre nach der Lehman-Pleite haben Sie die „Bürgerbewegung Finanzwende“ gegründet. Wie kam es zu diesem Entschluss? Wir merken schon lange, dass in Bezug auf Finanzmarktthemen ein Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft besteht. Da gibt es auf der einen Seite große Organisationen aus der Branche, etwa den Bundesverband deutscher Banken, den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft oder den deutschen Fondsverband BVI. Es gibt Verbände von Versicherungsvermittlern, Wirtschaftsprüfern und viele mehr. All diese Verbände werfen ein enormes Gewicht in die politische Waagscha- le. Auf der anderen Seite gibt es in der Zivil- gesellschaft bei Finanzmarktthemen eigentlich keine Interessenvertretungen der Bürgerinnen und Bürger. In anderen Bereichen ist das anders. In der Umweltpolitik zum Beispiel haben wir große, starke zivilgesellschaftliche Akteure wie die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace oder den Nabu. Im Sozialbereich fallen mir unter anderem der Deutsche Pari- tätische Wohlfahrtsverband, die Caritas und die Gewerkschaften ein. Im Bereich des Finanzmarktes hingegen gibt es niemanden, der ein starkes Gegengewicht zu den Wirt- schaftsverbänden bildet. Moment, es gibt durchaus Nichtregie- rungsorganisationen, die sich im Wirt- schafts- und Finanzbereich engagieren. Lobbycontrol, Attac und andere sind auf diesem Gebiet tätig. Dann haben wir natürlich auch noch die Verbraucher- zentralen. Reicht das nicht aus? Ja, es stimmt, wir haben die Verbraucher- zentralen, die vom Staat beauftragt sind. Ihre Stärke ist die Verbraucherberatung. Zur Ban- kenregulierung arbeiten sie aber zum Beispiel nicht. Auch andere Organisationen engagieren sich imWirtschafts- und Finanzmarktbereich. Aber zu zentralen Fragen wie dem gigan- tischen Cum-Ex-Betrug hat keine einzige gearbeitet. Diese Lücke fällt mir und anderen seit Jahren auf. Es gab immer wieder Gesprä- che darüber, ob man es nicht schaffen könnte, eine Organisation zu gründen, die sich dieser Fragen annimmt. Und jetzt, zum zehnten Jah- restag des Lehman-Zusammenbruchs, ist es uns gelungen. Zum Jahresende werden Sie Ihr Bundes- tagsmandat niederlegen. Warum möch- ten Sie es nicht behalten und gleichzeitig für die Bürgerbewegung tätig sein? Dafür gibt es zwei zentrale Gründe. Zum einen der Arbeitsumfang: Bundestags- mandat wie Finanzwende brauchen 100 Prozent meiner Kraft. Das geht nicht zusammen. Zum anderen können natür- lich Interessenkonflikte entstehen. Man kann keine überparteiliche zivilgesell- schaftliche Organisation leiten und gleich- zeitig Mitglied einer bestimmten Fraktion sein. Viele meiner Kolleginnen und Kol- legen befinden sich ständig in solchen Interessenkonflikten, ich finde das falsch. Ich habe immer versucht, sauber zu arbei- ten, und sauber heißt für mich auch, Interessenkonflikte zu verhindern. Es war also klar: Ich muss mich entscheiden. Und weil diese NGO extrem wichtig ist und ohne mich wahrscheinlich so nicht entstanden wäre, habe ich mich für die zivilgesellschaftliche Arbeit entschieden. Das war vermutlich eine schwere Ent- scheidung. Ja. Ich bin begeisterter Parlamentarier, und ich glaube, ich gehöre auch zu den Parlamen- tariern, die gezeigt haben, dass man im Bun- destag etwas bewirken kann. Also: Von Frust kann keine Rede sein. Ich wäre sehr gern wei- terhin Abgeordneter geblieben, aber beides ist nun einmal nicht möglich. Sie haben schon öfter die Ansicht geäu- ßert, das Finanzsystem sei nicht stabil, die nächste Finanzkrise programmiert. Seit dem Lehman-Zusammenbruch gab es aber große Regulierungsprojekte wie Basel III, Mifid II, die IDD. Gerade Banken klagen über zu viel Regulierung und Bürokratie. Wie passt das denn zu Ihrer These? Viel hilft nicht immer viel. Ich denke, man kann bei der Finanzmarktregulierung eines sehr gut sehen: Die bürokratischen Regelun- gen sind häufig die Konsequenz daraus, dass man die Kernfragen nicht angehen konnte oder wollte. Nehmen wir als Beispiel die Re- geln für die Eigenkapitalausstattung von Ban- „Wir wollen das Finanz » Es gibt sehr, sehr viele Bürger, die schlechte Erfahrungen mit dem Finanzmarkt gemacht haben. Diesen wollen wir eine Stimme geben. « Gerhard Schick, Bürgerbewegung Finanzwende Gerhard Schick ist seit über zehn Jahren der ausgewiesene kritische Finanzexperte der Grünen im Bundestag. Im Interview erklärt er, warum er der Politik nun den Rücken kehrt, weshalb er die „Bürgerbewegung Finanzwende“ gegründet hat – und wie diese arbeiten wird. steuer & recht I gerhard schick | bürgerbewegung finanzwende 352 www.fondsprofessionell.de | 4/2018

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