FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2018
Dafür brauchen wir einen anderen Finanz- markt, der langfristige Investitionen fördert und auch ökologische Risiken wahrnimmt. Dann sind Mitglieder aus dem sozialen Be- reich dabei, die sehen, dass der heutige Fi- nanzmarkt eine Umverteilungsmaschine von unten nach oben ist. Cum-Ex ist da ein beson- ders krasses Beispiel. Sie sehen also, es gibt viele Menschen, die aus ganz unterschiedli- chen Gründen der Überzeugung sind, dass wir endlich eine Finanzwende brauchen. Und es gibt sehr, sehr viele Bürger, die schlechte Er- fahrungen mit dem Finanzmarkt gemacht ha- ben. Diesen wollen wir eine Stimme geben. Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen? Ich glaube, es macht die Stärke der Bürger- bewegung Finanzwende aus, dass wir zum einen sehr viel Expertise vereinen. Unter den Mitgliedern sind etwa der ehemalige Invest- mentbanker Rainer Voss, der frühere Private- Equity-Manager Udo Philipp, ein Fonds- experte wie Stefan Loipfinger. Wir konnten namhafte Wissenschaftler wie Martin Hellwig und Peter Bofinger gewinnen. Zudem haben wir zahlreiche Anwälte für Kapitalmarktrecht, die auf der Verbraucherseite tätig sind. Zum anderen bildet die Bewegung wirklich unsere Gesellschaft ab. Der NGO haben sich bereits viel mehr Fördermitglieder angeschlossen als erwartet. Ich habe daher den Eindruck, dass die Bürgerbewegung ein Erfolg wird. Für eine Bürgerbewegung braucht man aber Bürger. Wie kann sich denn der ganz normale Bundesbürger an die NGO wenden oder sich selbst für die Finanzwende aktiv engagieren? Ganz klar, wir wollen nicht nur ein paar Mit- arbeiter in einer Geschäftsstelle sitzen haben, die Studien schreiben, sondern zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern das Finanzwesen verändern. Lassen Sie mich an einem konkre- ten Beispiel verdeutlichen, wie das aussehen soll. Ich hatte bereits angesprochen, dass dem P&R-Skandal bekanntlich viele andere Fälle von Anlagebetrug vorausgegangen sind. Nun kann man natürlich eine kluge Studie darüber schreiben, was getan werden muss. Es ist auf jeden Fall wichtig, gute Vorschläge vorzule- gen. Auf unserer Homepage gibt es auch sehr detaillierte Analysen dazu, was schiefgelaufen ist. Aber wir wollen nicht bei Analysen stehen bleiben. Deshalb haben wir uns auf der P&R- Gläubigerversammlung in München mit einem Stand hingestellt. So sind wir mit vie- len Betroffenen ins Gespräch gekommen und haben zusammen mit ihnen einen Brief an den Präsidenten der Bafin, Felix Hufeld, un- terzeichnet. Schließlich hat die Behörde hier wirklich gepennt und ist ihrem Auftrag, die Anleger zu schützen, nicht nachgekommen. Wir konnten Unterstützer aus dem Raum München, die uns nach der Gründung ange- schrieben hatten, dafür gewinnen, dass wir gemeinsam am Stand stehen, Infomaterial verteilen und Unterschriften sammeln. Viele haben uns im Internet unterstützt. So soll es laufen: Bürgerinnen und Bürger versuchen gemeinsam, gegen Fehlentwicklungen am Finanzmarkt vorzugehen. Wir sind eine Bewegung zum Mitmachen. Kommt es auch bei der Finanzierung darauf an, dass möglichst viele Bürger mitmachen? Ja, bereits mittelfristig werden wir uns größ- tenteils allein über Beiträge von Förder- mitgliedern und Spenden aus der Bürgerschaft finanzieren. Das heißt, diese Organisation wird es nur geben, wenn sich genug Leute finden, denen unsere finanzpolitische Arbeit so viel wert ist, dass sie die Bewegung finan- ziell unterstützen. Für die ersten Jahre haben wir Anschubfinanzierungen von gemeinnüt- zigen Stiftungen erhalten, um das Ganze in Gang zu bringen. Was sind denn die ersten großen Themen, die Sie angehen wollen? Eines der ersten Themen auf der Agenda wird der graue Kapitalmarkt sein. Wir werden uns um die Schuldenbremse für Banken und nachhaltige Finanzmärkte im Allgemeinen kümmern. Dann wollen wir die Provisions- beratung angehen. Und nicht zuletzt wollen wir die Frage untersuchen, was der Finanz- markt derzeit mit dem deutschen Immobilien- markt macht. Immobilen sind von einem Gebrauchsgut für Menschen zu einem Anla- geprodukt geworden. Die normale Familie, die eine Wohnung braucht, konkurriert nicht Gerhard Schick: „Ich bin begeisterter Parlamentarier, und ich glaube, ich gehöre auch zu den Parlamentariern, die gezeigt haben, dass man im Bundestag etwas bewirken kann. Also: Von Frust kann keine Rede sein.“ » Aktuell versucht man an vielen Stellen, Komplexität mit Komplexität zu bekämpfen. Das geht immer schief. « Gerhard Schick, Bürgerbewegung Finanzwende Foto: © Martin Peterdamm Photography Gerhard Schick Gerhard Schick, Jahrgang 1972, absolvierte sein Studium der Volkswirtschaft an der Universität Freiburg. Seine Pro- motion schloss er 2003 ab. Von 2004 bis 2005 war Schick als Projektmanager bei der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh tätig. 1996 trat er in die Partei Bündnis 90/ Die Grünen ein. 2005 wurde Bundestagsabgeordneter, 2007 finanzpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Zwischen 2016 und 2017 war Schick Mitglied des vierten Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode zu Cum-Ex-Geschäften. steuer & recht I gerhard schick | bürgerbewegung finanzwende 354 www.fondsprofessionell.de | 4/2018
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