FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2019
Thilo Sarrazin, Autor „Die Politik ändert ihren Kurs nicht “ Anlässlich seines Auftritts auf dem FONDS professionell KONGRESS sprachen wir mit Ex-Bundesbanker und Autor Thilo Sarrazin über die Frage, wie sich die Zuwanderung auf die Kapitalmärkte in Deutschland auswirken wird. T hilo Sarrazin zeichnet in seinen Büchern ein wenig optimisti- sches Bild für die weitere Ent- wicklung Deutschlands. Er sieht die Zuwanderung, wie sie derzeit erfolgt, als Bedrohung. Herr Sarrazin, Sie entwerfen eine Bandbreite von Zukunfts- szenarien für Deutschland, die im ungünstigsten Fall wenig Grund für Optimismus liefern. Dabei blicken Ihre Projektionen weit in die Zukunft. Muss man sich als Investor oder als Anla- geberater schon heute Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland machen? Sarrazin: Man muss sehen, dass die Leistungsfähigkeit von Unternehmen und das Wohlergehen einer Volkswirt- schaft nicht unbedingt dasselbe sind. So hat zum Beispiel Brasilien sehr leistungsfähige Unternehmen, trotz- dem geht es der Volkswirtschaft nicht gut. Es gibt auch in Frankreich sehr starke Unterneh- men, es gibt daneben aber auch große soziale Spannungen. Italien hat im Norden einen leis- tungsfähigen Mittelstand, während der Süden – bei genauerer Betrachtung – Afrika näher steht als Europa. Das heißt, eine Wirtschaft trägt natürlich immer auch den Staat und die Gesellschaft, man kann aber nicht linear von dem einen auf das andere schließen. Das bedeutet für die deutschen Unter- nehmen was? Es ist für mich denkbar und wahrscheinlich, dass gut geführte deutsche Unternehmen – egal ob es sich umAktiengesellschaften oder mittelständische Firmen handelt –, die ihre Managementprobleme lösen, auch noch in 20, 30 Jahren leistungsfähig sein werden. Sie werden aber in einem Umfeld arbeiten, das sich stark verändert. Sie beschäftigen sich ja schon seit einem Jahrzehnt mit Problemen, die geeignet wären, die deutsche Wirtschaft zu schwächen. Haben Sie den Eindruck, dass die Entwicklung inzwischen in eine andere Richtung läuft? Nein, da die deutsche Politik ihren Kurs nicht ändert, sehe ich eine Phase wachsender ethni- scher Unterschiede, wachsender Einkom- mensunterschiede und wachsender sozialer Spannungen. Was das für politischen Rah- menbedingungen bedeutet, ist zumindest ungewiss. Sie sehen das ja amAufstieg rech- ter Parteien. Das führt dazu, dass das klassi- sche Parteiensystem mehr oder weniger zer- stört wird. Jedenfalls ist die Zeit vorbei, in der man für ein Land wie Deutschland praktisch unbesehen davon ausgehen konnte, dass die Rahmenbedingungen, die man in den letzten 50 Jahren sah, bis auf Weiteres intakt bleiben. Das klingt doch nach einerWarnung für Anleger. Was der rationale Investor tut: Er sucht sich mehrere Standbeine. Man kann wahrschein- lich davon ausgehen, dass Daimler und BMW auch noch in 30 Jahren wettbewerbsfähige Autos bauen wer- den. Wo sie die aber bauen, das ist dann die Frage. Das heißt, jetzt ist die Zeit für eine Internationalisierung. Wie sieht es bei deutschen Staats- anleihen aus? Der bekannte Ökonom Bernd Raffelhüschen hat vorgerechnet, dass eine Million Flüchtlinge den Staat langfristig 450 Milliarden Euro kosten. Das ist eine implizite Staatsverschul- dung. Problematisch ist der Umstand, dass die Politik immer nur auf die Gegenwart schaut, vielleicht noch bis ins Jahr 2021, in dem die nächste Bundestagswahl stattfindet. Alle kon- zentrieren sich auf die Frage, wer der nächste Bundeskanzler sein wird, obwohl dies wohl das unwesentlichs- te Thema ist. Wichtiger wäre die Beschäftigung mit der Frage, was wir ab dem Jahr 2025 machen, in dem die große Welle der Babyboomer-Generation in Rente geht. Schon heute werden die unteren Ein- kommensschichten zu stark mit Abgaben belastet – da waren wir uns heute auch in der Podiumsdiskussion einig. Und das liegt auch daran, dass wir mit dem Sozialstaat mehr finanzieren, als wir finanzieren sollten. Da- rum sinken bei uns auch die Steuern nicht. Sollte man die Steuern senken? Man muss hier den internationalen Zusam- menhang sehen. Natürlich bräuchten wir wieder eine Unternehmenssteuerrefom, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber Finanzminister Scholz will hier nichts tun. Und natürlich wird ein Staat, der sein Sozialsystem nicht im Griff hat, höhere Steuern und Abgaben haben als ein Land, das die Dinge besser löst. Wir danken für das Gespräch. GERHARD FÜHRING| FP Thilo Sarrazin, Autor: „Alle konzentrieren sich auf die Frage, wer der nächste Bundeskanzler sein wird, obwohl dies das unwesentlichste Thema ist.“ 21 www.fondsprofessionell.de | 1/2019
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