FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2019

Sinne der Produktauswahl. Dabei lässt sie dem Vermittler Freiheit. Wie sieht es dann eigentlich mit der Haftung aus? Hätte ein Vermittler, der sich an die Vorgaben der Norm hält, in einem Verfahren wegen Falschberatung bessere Karten als ein Kollege, der dies nicht tut? Möller: Ja, Vermittler, die sich an die Vor- gaben der Norm halten, haben in einem Prozess wegen Falschberatung ganz gute Karten. Immerhin liefert der Standard einem Richter einen Anhaltspunkt dafür, dass ein Vermittler vor dem Produktver- kauf den Bedarf des Kunden auf einem soliden Fundament analysiert hat. Pradetto: Sie verkaufen die Norm jetzt so, als würde sie Vermittlern und Beratern in Haftungsfragen helfen. Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall: Sie müssen die Analyse nach der Norm erst einmal trainieren und sich dann strikt daran halten. Macht der Vermittler Fehler, etwa weil er mit der Norm noch nicht vertraut ist oder weil seine Software Probleme verursacht, dann gerät er direkt in die Haftungsfalle. Um ihn in die Haftung zu nehmen, muss der Kunde ihm ein Ver- schulden nachweisen. Das ist aber viel leichter, wenn er sagen kann, dass der Berater bei der Analyse die Norm nicht exakt eingehalten hat. Es gibt jedoch ein noch viel größeres Problem: Wenn eine Norm sich erst einmal durchgesetzt hat, haben alle, die sie nicht anwenden, klare Nachteile. Inwiefern? Pradetto: Wenn vor Gericht geklärt wird, ob ein Berater einen Fehler gemacht hat und einem Kunden gegenüber haftet, dann ist die Anwendung der Norm für den Richter sozu- sagen schon ein gutes Indiz. Er kann fragen: „Die meisten anderen Vermittler arbeiten nach der Norm, Sie auch?“ Wenn der Berater verneint, wird ihm das auf jeden Fall immer negativ ausgelegt werden. Sofern sich die Norm in der Branche breit durchsetzt, wird sie also eine Wirkungsmacht entfalten. Das führt dann dazu, dass Vermittler sie über- nehmen müssen, auch wenn sie es eigentlich nicht wollen. Herr Möller, ein schlagkräftiges Argu- ment gegen die Norm, oder? Möller: Nein, keineswegs. Wenn Berater nicht nach der DIN 77230 arbeiten, wird ihnen das nicht zum Nachteil gereichen. Für sie ändert sich nichts. Ob mit oder ohne Norm: Richter müssen sich schließlich immer ihr eigenes Urteil bilden und im Zweifelsfall auch Gut- achten hinzuziehen. Allerdings wird es für diejenigen, die sich nach der Norm richten, in einem Prozess einfacher. Ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich: Wenn eine Brücke einstürzt, dann wird nach den Ursa- chen geforscht. Kann der Konstrukteur nachweisen, dass er sich vor 30 Jahren an die damals geltenden und akzeptierten normier- ten Regeln für den Bau einer Brücke gehalten hat, dann ist ihm nichts anzuhängen. Das heißt umgekehrt aber nicht, dass jemand schlechter dasteht, wenn er diese Normen vor 30 Jahren unbeachtet gelassen, aber nach- weislich keinen Konstruktionsfehler gemacht hat. Auch er kann nicht belangt werden. Eine Norm ist schließlich kein Gesetz. Die DIN 77230 ist der Konsens einer Branche, die im Ausschuss für diese Norm beim DIN-Institut zusammengekommen ist. Das Ziel war es, Vermittlern bei der Analyse zu helfen, damit am Ende des Tages das Geschäft leichter wird. Pradetto: Nun ja, leichter wird das Geschäft zumindest für jemanden, der die zur DIN passende Analysesoftware herstellt – und das Projekt nicht zuletzt deswegen vorangetrieben hat. Da stelle ich mir natürlich schon die Frage, ob die Norm nicht vielleicht eher als Verkaufshilfe für ein bestimmtes Software- haus gedacht ist. er „Analyse hilfe “? » Vermittler, die sich an die Vorgaben der Norm halten, haben in einem Prozess wegen Falschberatung ganz gute Karten. « Klaus Möller, Defino STREITGESPRÄCH 251 www.fondsprofessionell.de | 1/2019

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