FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2019

oder einer Software folgen muss. Damit wird er zu einer Art „Bedienautomat“. Der Vorteil eines Maklers gegenüber großen Organisationen mit entsprechenden IT-Ab- teilungen ist doch gerade seine Persönlich- keit. Aber die wird wegnormiert. Möller: Oh, das waren gleich mehrere Aspekte. Lassen Sie mich in umgekehrter Reihenfolge auf Ihre Kritikpunkte einge- hen. In der Finanzanalyse nach der DIN- Norm tritt die Individualität des Beraters hinter die Individualität des Kunden zu- rück, das stimmt und ist auch richtig so. Aber diese kann er bei der eigentlichen Be- ratung, wenn es um die Auswahl der rich- tigen Produkte geht, doch noch genug aus- leben. Und was das Thema Digitalisierung angeht: Ich bin sehr gespannt, wie lange es dauert, bis jemand diese Norm mit einer Software so abbildet, dass ein Privatkunde zu Hause am Rechner bis zum Ende bei der Stange bleibt. Das Regelwerk ist schließ- lich trotz aller Bemühungen immer noch sehr komplex. Ich denke vielmehr, dass die Norm eine Hilfe für Vermittler ist und sie vor Google und Co. schützt. Gerade bei der Bedarfsana- lyse sind Verbraucher auf das Fachwissen des Beraters angewiesen. Wesentlich wichtiger ist aber der Aspekt der Effizienz. Ich glaube, dass die DIN 77230 zusammen mit entsprechen- den Softwarelösungen dazu beiträgt, dass Makler effizienter arbeiten und mehr Kunden versorgen können. So ist es ihnen möglich, ohne Qualitätsverluste durch eine größere Kundenzahl die Einbußen bei den Provisionen wettzumachen. Bei sinkenden Vermittlerzah- len und gleichzeitig steigender oder zumindest gleichbleibender Kundenzahl hat doch jeder Makler oder Berater ein größeres Potenzial. Das gilt aber auch für große Vertriebe und Banken, sodass der Effekt für die unabhängigen Vermittler recht klein sein dürfte. Möller: Das gilt für alle in der Finanzberatung Tätigen gleichermaßen. Da die Norm die Be- treuung effizienter macht, kann sie Vermittlern helfen, eine neue Zielgruppe zu erschließen: die durchschnittlich Verdienenden, die bisher nichts von einer ganzheitlichen Analyse und Beratung gehört haben. Gerade sie benötigen aber dringend eine vernünftige Bestandsauf- nahme, da sie jeden Euro umdrehen müssen. Der zur Ganzheitlichkeit gehörende Liquidi- täts-Check verhindert, dass sie Geld für unnö- tige Produkte zahlen. Und wenn die Verbrau- cher merken, dass die Norm gut ist, werden sie es dem Vermittler positiv zurückzahlen. Pradetto: Der Ansatz, die ganzheitliche, voll- ständige Analyse als gut für den Verbraucher darzustellen, ist eine typisch vermittlerzen- trierte Denkweise der alten Art. Die Entwick- lung geht aber in eine andere Richtung. Rund ein Drittel aller Sachversicherungen wird über eine Plattform aus München abge- wickelt, die nicht auf Ganzheitlichkeit setzt. Offenbar ist es vielen Kunden zu kompliziert, sich vor dem Kauf einer Police komplett durchchecken zu lassen. Sie wollen lieber, dass es einfach und schnell geht. Aber die Branche denkt sich offenbar: „Lasst uns die Analyse und den Abschluss noch etwas kom- plexer gestalten, sodass man auch noch eine Software braucht.“ Das nenne ich „Zwangs- beglückung“, und ich fürchte, dass diese am Ende den Niedergang des Vermittlers be- schleunigen wird. Schließlich wird er immer gezwungen, ganzheitlich zu analysieren, während der Kunde nur schnell eine neue Kfz-Police haben möchte und nicht weiter belästigt werden will. Muss denn die komplette Analyse auch erfolgen, wenn der Kunde etwa nur eine Kfz-Versicherung abschließen möchte? Möller: Die Norm schreibt keineswegs vor, dass es in Zukunft nur noch ganzheitliche Analysen geben darf. Sie gibt lediglich die Empfehlung, wie eine ganzheitliche Analyse dann aussehen sollte, wenn sie sinnvoll, an- geraten oder gewünscht ist. Wenn Bestands- aufnahmen wie bisher sichtlich von Unterneh- mensinteressen getrieben und damit nicht glaubwürdig sind, setzt der Kunde lieber auf die Technik und besorgt sich seine Police selbst. Da muss man dagegenhalten und ver- suchen, Vertrauen zurückzugewinnen. Im Übrigen haben Gesellschaften und Vermittler, die mit der DIN Spec 77222 arbeiten, ihre Kunden- und Vertragsdichte substanziell stei- gern können, auch wegen des gestiegenen Ver- trauens aufgrund des ganzheitlichen Ansatzes. Pradetto: Ich habe auch gar nichts gegen einen strukturierten Prozess, da ich mir sicher bin, dass sich eine solche Vorgehensweise immer positiv auswirkt. Die Norm gibt eine durchdachte Struktur vor, daran zweifle ich überhaupt nicht. Schließlich haben genügend Fachleute an dem Regelwerk mitgearbeitet. Sie ist aber nur einer von mehreren möglichen Wegen. Vermittler, die anders vorgehen, dür- fen nicht ins Abseits gedrängt werden. Sie sollten auch nicht dazu gezwungen werden, die DIN zu nutzen. Vielen Dank für die sehr interessante Diskussion! JENS BREDENBALS, ANDREA MARTENS | FP STREITGESPRÄCH Oliver Pradetto, Blau Direkt Oliver Pradetto leitete eine Repräsentanz der Deut- schen Ärzteversicherung, bevor er im Jahr 2000 gemeinsam mit seinen Kollegen Sandra Heidemüller und Lars Drückhammer den Maklerpool Blau Direkt mit Sitz in Lübeck gründete. Zunächst war Heide- müller dort Geschäftsführerin, 2011 übernahmen Pradetto und Drückhammer diese Aufgabe. Oliver Pradetto verantwortet bei Blau Direkt unter anderem das Marketing und den Vertrieb. » Mit der Norm nehmen Sie dem Berater und Vermittler ein Alleinstellungsmerkmal weg, wenn er, ich überspitze, skla- visch eine Liste abarbeiten oder einer Software folgen muss. « Oliver Pradetto, Blau Direkt 253 www.fondsprofessionell.de | 1/2019

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