FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2019

Der Knackpunkt für den Streit vor Gericht ist also die Frage, was die Gesellschaften tun müssen, um ihrer Pflicht ausreichend nachzu- kommen – zumindest bei höheren Beträgen. „Bei sogenannten Kleinstorni muss eine Ge- sellschaft nichts unternehmen“, so Behrens, „die Grenze ist aber strittig. Einige Gerichte setzen diese Summe bei 20 Euro an, andere zählen auch Beträge von 150 Euro zu den Kleinstorni.“ Sowohl Behrens als auch Baner- jee berichten, die Rechtsprechung der Gerich- te sei völlig uneinheitlich – ein anerkannter Standard für die Stornoabwehr fehlt. Konturlose Gesetze Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Zum einen behandelte der Gesetzgeber diesen Punkt eher stiefmütterlich. Zum anderen hat der BGH laut Behrens nur in speziellen Fällen zur Stornoabwehr geurteilt – und auch nur zur Frage, was falschgelaufen ist. Ein Grundsatz- urteil zu allgemein gültigen positiven Krite- rien steht aus. Das lässt Spielraum für Inter- pretationen. Schon 1987 stellte das Gericht beispiels- weise fest (Az. I ZR 3/86): „Die Darlegungs- und Beweislast trifft den Versicherer. Ihm ob- liegt es, notleidende Verträge nachzuarbeiten. Art und Umfang bestimmt sich nach den Um- ständen des Einzelfalles.“ Damit sind ver- schiedenen Auslegungen Tor und Tür geöff- net. „Gesellschaften müssen Kunden laut der weiteren Rechtsprechung des Bundesgerichts- hofs nachdrücklich auf die Nachteile aufmerk- sam machen, die ihnen aus einem Storno er- wachsen. Ein Mahnschreiben reicht nicht, es muss ausführlicher sein“, weiß Banerjee. Der Haken in diesem Fall: Darüber, wie der Versicherer Kunden kontaktieren muss, ob er etwa telefonisch nachfassen muss, sagt das Urteil nichts aus. Auch Landes- und Ober- landesgerichte (LG und OLG) kommen an dieser Stelle zu unterschiedlichen Schlüssen. Ahnungslose Richter In der Praxis gibt es ein weiteres Problem: „Die unterschiedlichen Urteile sind verfah- renstechnisch begründet. Es hängt sehr stark vom einzelnen Richter ab, der frei in seinen Entscheidungen ist“, spricht Behrens aus Erfahrung. „Es gibt natürlich die Vorgaben des BGH, an denen man sich orientieren kann. Manche Richter stellen sich aber be- wusst gegen diese Urteile.“ Wichtig ist auch, ob der Richter überhaupt bereit ist, sich in die Details eines Falls einzuarbeiten. Provisions- abrechnungen sind sehr kompliziert, das Han- delsrecht ist ebenfalls verzwickt. „Streitigkei- ten um die Rückzahlung von Stornoreserven werden oft vor Gerichten verhandelt, in denen Richter sitzen, die keine Spezialisten für Han- delsrecht sind“, berichtet Banerjee. Zudem scheuen sich viele Richter, jeden einzelnen Stornofall zu prüfen – kein Wunder, schließlich geht es in den Prozessen oft um 200 und mehr strittige Zahlungen. Viele Rich- ter würden zu einfachen, schnellen Urteilen tendieren – oft zum Nachteil der Handelsver- treter, wie Banerjee und Behrens berichten. In der zweiten Instanz sieht es laut Banerjee zu- meist anders aus: Dort bohrten die Richter nach und ließen sich von den Gesellschaften mitunter jeden Stornofall einzeln vortragen. Fallbeispiel Für die Sprunghaftigkeit der unteren Instan- zen gibt es ein aktuelles Beispiel: Behrens zu- folge hat das Amtsgericht Bad Schwalbach kürzlich die Klage eines Vertriebes zurückge- wiesen, der von einem ausgeschiedenen Han- delsvertreter die Rückzahlung von Provisions- vorschüssen gefordert hatte. Die Gesellschaft berief sich auf eine standardmäßige Kombi- nation aus Erinnerungs-, Mahn- und Kündi- gungsschreiben durch das Versicherungs- unternehmen, das den Vertrag führte. Das Ge- richt wollte aber, dass die Gesellschaft im Ein- zelnen darlegte und bewies, bei welchem stor- nierten Vertrag wann und durch wen welche Stornobekämpfungsmaßnahmen erfolgt seien. „Allein aus der Existenz eines solchen Ver- fahrens erfolgt für das Gericht nicht der Nach- weis, dass eine entsprechende Stornobekämp- fung stattgefunden hat“, so Behrens. Das In- teressante an dem noch nicht rechtskräftigen Urteil: In einem Vorverfahren mit denselben Parteien hatte das Gericht noch genau anders- herum entschieden. Das zeigt: Der Ausgang einer Verhandlung um Provisionsrückforde- rungen bleibt ungewiss. JENS BREDENBALS | FP Foto: © Kai Behrens Kai Behrens, Rechtsanwalt: „Bei sogenannten Klein- storni muss eine Gesellschaft nichts unternehmen.“ Gezielte Abwehrmaßnahmen Vermittleranwälte verraten ungern, wie sie ihren Man- danten zu ihrem Geld verhelfen, schließlich geht es vor Gericht auch um eine taktisch geschickte Darlegung der Vorgänge und um die richtige Beweisführung. Einige Tipps lassen sie sich jedoch entlocken. Stornoabwehr anzweifeln: An erster Stelle steht, die Maßnahmen der Versicherer oder Vertriebe zur Storno- abwehr in Zweifel zu ziehen. Hierfür eignet sich der Ver- weis auf die Buchauszüge. Diese müssen alle Eckdaten einer Police enthalten, auch Schritte zur Nachbearbeitung im Stornofall. „Es ist das Logbuch des Vermittlers“, er- klärt Rechtsanwalt Tim Banerjee. „In unzähligen Urteilen ist präzisiert worden, was alles in den Auszügen enthalten sein muss.“ Oft lässt sich zudem die Behauptung des Versicherers entkräften, dass die Kunden persönlich kon- taktiert wurden. „Der Vermittler kann seine ehemaligen Kunden fragen, was die Gesellschaft unternommen hat – etwa ob sich jemand persönlich gemeldet hat. Das ist oft nicht der Fall“, rät Anwalt Kai Behrens. Gegenforderungen aufstellen: Ein anderer Weg ist, als Handelsvertreter Gegenforderungen aufzustellen. Das könnte eine Softwarepauschale sein, die der Vermittler vorstrecken musste und die er anteilig zurückfordern kann. Damit lassen sich die Ansprüche beider Seiten zumindest gegeneinander verrechnen. Rückstellungskonto erloschen: Zudem kann der Vertreter argumentieren, dass mit Ende des Handelsvertreterver- trags auch das Rückstellungskonto erlischt. Mit anderen Worten: Nach Vertragsende darf das Konto nicht mehr mit weiteren Stornos belastet werden. So haben zumin- dest in jüngster Zeit das OLG Nürnberg und das OLG Köln entschieden. Herrschende Rechtsprechung ist dies laut Behrens zwar noch nicht, aber immerhin ein Trend. » Gesellschaften müssen Kunden nachdrücklich auf die Nachteile aufmerksam machen, die ihnen aus einem Storno erwachsen. « Tim Banerjee, Rechtsanwalt 382 www.fondsprofessionell.de | 3/2019 steuer & recht I provisionen

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=