FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2020

„Lehman-Moment“ gesprochen und war mir im Nachhinein nicht sicher, ob ich damit viel- leicht ein wenig vorschnell gewesen bin. In der Ex-post-Betrachtung muss ich sagen, dass der Begriff leider durchaus angebracht war, und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Erstens passt der Begriff, weil nun wohl an einer Rezession kein Weg mehr vorbeiführen wird, im ersten Halbjahr mit Sicherheit, wahr- scheinlich auch für das Gesamtjahr. Zweitens, und davon bin ich nach wie vor überzeugt, wird diese Krise, die ja letztlich eine Krise globaler und global vernetzter Wertschöp- fungsketten ist, auch Verhaltensänderungen hervorrufen. Ein Unternehmenslenker, der bisher darauf vertraut hat, dass man just in time produzieren kann, dass die Lieferungen aus China oder woher auch immer auch in der rechten Menge und zur rechten Zeit sowie mit den richtigen Spezifikationen bei ihm vor Ort sein werden, der sich deshalb darauf verlassen hat, dass er keine Lager vorhalten muss, dass man dorthin outsourcen, dort produzieren lassen kann, wo die Bedingungen am güns- tigsten sind, dieser Manager ist nun damit konfrontiert, dass sein Vertrauen darauf, dass dieses System und diese Strategie immer und überall funktionieren werden, zumindest fürs Erste einmal ordentlich angeknackst ist. Bis wohin kann das gehen? Das Vertrauen darauf, dass der Container mit Vorprodukten aus China auch nach der aktu- ellen Krise stets wieder rechtzeitig auf dem Unternehmenshof stehen wird, ist vielleicht nicht fundamental erschüttert, aber es ist auf jeden Fall erheblich angekratzt. Und das wird sicherlich ein Stück weit ein Umdenken mit sich bringen. Mancher Unternehmer wird sich fragen, ob China künftig immer noch der super Produktionsstandort sein wird. Das Land wird zwar ohne Zweifel auch künftig von besonderer Bedeutung sein, und zwar nicht nur, weil die Löhne dort günstiger sind, das ist gar nicht mehr so sehr das große The- ma. Inzwischen ist China eben auch ein wich- tiger Industriestandort, weil man von dort aus nicht nur Europa und die USA, sondern na- türlich auch den heimischen Markt in China mit bedient, und weil die industrielle Infra- struktur inklusive der Transportinfrastruktur eben sehr gut ist. Aber mancher deutsche oder europäische Unternehmer wird sich sicher fragen, wie groß sein Lager an seinem eige- nen Standort künftig sein muss und ob er nicht einen gewissen Puffer in seine Lager- haltung einbauen muss, um für eventuell ähn- kein Weg mehr vorbei“ » Einen Vorgeschmack darauf, was es bedeutet, wenn ganze Wertschöp- fungsketten unterbrochen werden, haben wir im Zusammenhang mit dem Tsunami im japanischen Fukushima bekommen. « Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft www.fondsprofessionell.de | 1/2020 175

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