FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2020

liche Krisen wie Corona gewappnet zu sein. Das treibt vielleicht die Kosten etwas nach oben, aber ich bin davon überzeugt, dass viele die eigene Kosten-Risiko-Abwägung ein Stück weit neu kalibrieren werden. Zumal ja vermeintlich unwichtige, aber fehlende Teile oft große Konsequenzen haben. Ganz genau! Es sind ja manchmal relativ klei- ne Dinge, die aber – so sie nicht in einem Zwischenlager im eigenen Unternehmen vor- handen sind – erhebliche Auswirkungen haben. Wenn die Schraube oder die Dichtung eines komplexen Motors oder einer komple- xen Maschine fehlen, weil eine chinesische Firma, die vielleicht in der Provinz Hubei sitzt, sie nicht liefern konnte, oder weil die Spedition aus einem ganz anderen Teil Chinas irgendwelche Waren nicht zum Hafen bringen konnte, dann sorgt dieses kleine, aber fehlende Teil unter Umständen dafür, dass in Europa, Japan oder Südkorea die Produktion stillsteht. Eine Tatsache, die in unserer arbeitstei- ligen Gesellschaft bisher so gut wie keine Rolle gespielt hat, inzwischen schon … … und in dieser Größenordnung sogar zum ersten Mal. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass China als Hersteller und Zu- lieferer so stark an Bedeutung gewonnen hat. Zu Zeiten der SARS-Epidemie in den Jahren 2002 und 2003 hatte China einen Anteil von ungefähr vier Prozent am globalen Bruttoin- landsprodukt. Heute sind es 16 Prozent. Daher kann man sagen, dass mit Corona eine der SARS-Epidemie ähnliche Entwicklung, die ihren Ausgang ebenfalls in China genommen hat, wirtschaftlich betrachtet heute eine vier- mal so große Bedeutung entfaltet. Hinzu kommt, dass natürlich auch in der Zeit von 2002 bis heute die Entwicklung oder der Aus- bau von Wertschöpfungsketten noch einmal erheblich an Intensität zugenommen haben. China ist nicht nur deutlich gewachsen, seine Wirtschaft ist auch erheblich vernetzter. Einen kleinen Vorgeschmack darauf, was es bedeu- tet, wenn ganze Wertschöpfungsketten unter- brochen werden, haben wir im Zusammen- hang mit dem Tsunami im japanischen Fuku- shima bekommen, obwohl Japan natürlich im Vergleich zu China eine relativ kleine Volks- wirtschaft ist … … und damit doch auch als Zulieferer nicht so bedeutend für den Rest der Welt? Das ist schon richtig, aber man konnte dort feststellen – und dazu gibt es eine Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen –, was ein sol- ches Ereignis für Wertschöpfungsketten und Lieferverbindungen bedeutet. Wenn wir das nun skalieren oder mit einem Faktor sieben oder acht multiplizieren, dann gibt uns das eine näherungsweise Vorstellung davon, was wir jetzt zu erwarten haben. Wovon gehen Sie denn aus? Wird es am Ende nur eine Delle und eine anschlie- ßende V-förmige Entwicklung sein, von der zwischenzeitlich viele ausgegangen sind? Hoffentlich beides. Wenn Menschen heute in China, vielleicht auch bald in Europa, nicht in die Produktionsbetriebe gehen können, dann fällt die Produktion aus. Jede Woche, in der nicht produziert wird, ist der Output ungefähr um zwei Prozent kleiner; anders gesagt, schon nach einer Woche, in der die Produktion still- steht, haben wir de facto bereits eine Rezes- sion in Mitteleuropa. Wobei natürlich die Wahrscheinlichkeit noch angemessen hoch ist, dass wir schnell wieder diesem Tal der Tränen entsteigen können, wenn die Produktion rasch wieder hochgefahren werden kann, man im Industriebereich zumindest Überstunden fahren und man zusätzlich kurzfristig bei der Kapazitätsauslastung auch einmal über hun- dert Prozent gehen kann. Aber das bezieht sich alles auf produzierende Betriebe im Industriebereich. Und der Dienstleistungssektor? Im Dienstleistungssektor ist eine V-förmige Erholung sehr unwahrscheinlich. Dort werden Gabriel Felbermayr: „Zu Zeiten der SARS-Epidemie in den Jahren 2002 und 2003 hatte China einen Anteil von ungefähr vier Prozent am globalen Bruttoinlandsprodukt. Heute sind es 16 Prozent.“ » Die aktuelle Krise, die ja letztlich eine Krise globaler und global vernetzter Wertschöpfungs- ketten ist, wird Verhaltens- änderungen hervorrufen. « Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft Foto: © Benjamin Brolet Gabriel Felbermayr Gabriel Felbermayr ist seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft. Gleichzeitig hat er eine Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Christian-Albrechts-Univer- sität zu Kiel inne. Von 2010 bis 2019 leitete er das ifo Zentrum für internationale Wirtschaft an der Uni- versität München, wo er auch ordentlicher Professor für Internationale Wirtschaft war. Felbermayr ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundes- ministeriums für Wirtschaft und Energie. markt & strategie I gabriel felbermayr | institut für weltwir tschaft 176 www.fondsprofessionell.de | 1/2020

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