FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2020

wir eher eine Entwicklung in Form eines langgezogenen U oder, wenn es schlecht läuft, eines L sehen. Jemand, der heute nicht ins Kino geht, wird sich im nächsten Halbjahr wahrscheinlich nicht zwei Filme anschauen. Oder wenn Sie bisher jedes Wochenende mit Ihrer Frau essen gegangen sind, dann werden Sie nicht im zweiten Halbjahr zusätzlich auch jeden Mittwoch ins Restaurant gehen. Noch einmal kurz zurück zur Standort- frage. Was halten Sie von der Reaktion, die es ja von durchaus interessierter Sei- te gegeben hat, die fordert, dass man auch die Produktion selbst wieder zu- rückholen muss? Wenn Politiker das fordern, dann sind sie mei- ner Ansicht nach dazu nicht befugt. Unterneh- men werden sich natürlich fragen müssen, was für ihr jeweiliges Geschäftsmodell in Zu- kunft am besten ist. Viele Betriebe haben über Jahre hinweg stark auf das Thema Outsour- cing gesetzt und große Teile ihrer Produktion nach China oder in andere, zum Teil weit ent- fernte Länder gesetzt. Daher wird man ange- sichts der aktuellen Entwicklung in vielen Un- ternehmens-Boards schon sehr genau analy- sieren, ob sich hinsichtlich dieser Struktur und dieser Strategie etwas deutlich verschoben hat. Man wird sich die Frage stellen müssen, ob nicht zum Beispiel dem Thema Liefer- sicherheit ein sehr viel größeres Gewicht ein- geräumt werden muss beziehungsweise ob Lieferketten nicht deutlich kürzer werden müssen. Das würde dazu führen, dass man eben wieder mehr und größere Lager vorhal- ten muss, was der Globalisierung schon einen gewissen Dämpfer verpassen würde. Aber das ist nichts, was nun ein Wirtschaftsminister oder irgendwelche Behörden oder sonstige Stellen anordnen müssen. Da sind schon die Manager, die die entsprechende Produktion verantworten, die allerbesten Ansprechpartner. Was können Notenbanken in dieser Si- tuation ausrichten? Sind sie überhaupt die richtigen Ansprechpartner? Grundsätzlich stehen auch die Notenbanken natürlich unter massivem Druck. Allerdings stellt die Corona-Krise zunächst einmal eine angebotsseitige Problematik dar. Die Produk- tion fällt aus, Lieferketten knicken ein. Daran kann die Geldpolitik oder – weiter gefasst – die klassische keynesianische Nachfragepoli- tik wenig ändern. Es geht vielmehr darum, sehr zielgerichtet und konkret betroffenen Unternehmen zu helfen. In dieser Beziehung hat die Bundesregierung verschiedene Maß- nahmen angekündigt, um Unternehmen finan- ziell zu entlasten. Stichworte in diesem Zu- sammenhang sind ein verbesserter Zugang zum Kurzarbeitergeld, Überbrückungskredite seitens der staatlichen KfW-Bankengruppe und ein Konzept für Steuerstundungen. Au- ßerdem hat Finanzminister Olaf Scholz ange- kündigt, dass die Regierung bereit ist, so viel Geld wie nötig in die Hand zu nehmen, falls sich die gesamtwirtschaftliche Lage deutlich verschärfen sollte. Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich die Angebotskrise schnell in eine Ver- trauenskrise verwandelt, sprich über Zweitrundeneffekte zu einer Nachfrage- krise werden könnte? Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass die Menschen irgendwann panisch werden. In diesem Fall wäre dann doch wieder die Geld- politik gefragt, glaubwürdig gegenzusteuern und vertrauensstärkende Maßnahmen zu be- schließen, damit ein Abschwung abgedämpft werden kann. Auch dazu hat sich im Übrigen die Regierung geäußert und klar angekündigt, dass der Staat bereit ist, im Fall einer größeren Krise – also wenn die Angebotsproblematik tatsächlich zu einer Nachfrageproblematik werden würde –, entsprechende Konjunktur- programme aufzulegen. Nicht zuletzt wäre die Geldpolitik doch deshalb gefragt, weil sie dafür sorgen müsste, dass Liquidität und Geldversor- gung nicht noch einmal zum Problem werden. Bedeutet das auch, dass die Hoffnung, dass es mit den Zinsen doch noch einmal nach oben gehen könnte, jetzt sozusagen wieder verpufft? Davon gehe ich aus. Diese Hoffnung stand ohnehin schon auf tönernen Füßen, und wir haben interessante intellektuelle Auseinander- setzungen darüber erlebt, was denn eigentlich die langfristigen gleichgewichteten Zinsen sind und wie stark diese von der Geldpolitik gemacht sind. Insgesamt müssen wir uns dar- auf einstellen, dass die Zinsen niedrig bleiben werden, und dass das ein Parameter ist, mit dem wir noch für die nächsten Jahrzehnte werden rechnen müssen. Zinsen, die über ein Niveau von nominal zwei oder drei Prozent hinausgehen und real überhaupt positiv sind, werden eher die Ausnahme sein. Vielen Dank für das Gespräch. HANS HEUSER | FP » Zinsen, die über ein Niveau von nominal zwei oder drei Prozent hinausgehen und real überhaupt positiv sind, werden eher die Ausnahme sein. « Gabriel Felbermayr, Institut für Weltwirtschaft Foto: © Benjamin Brolet Gabriel Felbermayr: „Man wird sich die Frage stellen müssen, ob nicht dem Thema Liefersicherheit ein sehr viel größeres Gewicht eingeräumt werden muss beziehungsweise ob Lieferketten nicht deutlich kürzer werden müssen.“ markt & strategie I gabriel felbermayr | institut für weltwir tschaft 178 www.fondsprofessionell.de | 1/2020

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