FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2020

historische Forschung wirkt sich die Digitali- sierung aus (siehe Interview oben). Bankarchive Auch einige Banken scheinen sich der Bedeutung der Geschichte bewusst zu sein. So leistet sich beispielsweise das Bankhaus Metzler eine eigene Historikerin. Ebenso ha- ben die Großbanken ihre Vergangenheit nicht vergessen. So verwahrt das Historische Archiv der Commerzbank insgesamt 14 Regalkilo- meter Akten, die in 150 Jahren angesammelt wurden. Darunter befindet sich der historische Aktenbestand der Dresdner Bank, von dem Teile seit Dezember 2010 als national wert- volles Kulturgut eingetragen sind. Auch die Historische Gesellschaft der Deut- schen Bank, deren Vorsitz Clemens Börsig innehat, verfügt über ein Archiv, dessen älteste Akten noch von den Vorläuferinstituten der Bank aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stam- men. Angeschlossen ist eine Präsenzbibliothek zur Bankengeschichte mit rund 8.000 Bänden. Neben historischen Dokumenten und Zei- tungsausschnitten sind dort Fotos, Karten, Plä- ne und alte Wertpapiere zu entdecken. Geschichtsinteressierte Banker oder Laien können sowohl bei der Deutschen als auch der Commerzbank online in sämtlichen Ge- schäftsberichten von 1870 an bis zur Gegen- wart recherchieren. Bei der Lektüre zeigt sich die zunehmende Komplexität des Geldge- schäfts: So wurde der erste Geschäftsbericht der Deutschen Bank aus dem Jahr 1870 von zwei Direktoren unterschrieben, er fand auf lediglich fünf Seiten Platz. Zum Vergleich: Der Bericht des Geschäftsjahres 2018 trägt neun Unterschriften und umfasst stolze 496 Seiten. MARCUS HIPPLER | FP Foto: © Institut für Bank- und Finanzgeschichte Thomas Groß | Institut für Bank- und Finanzgeschichte „Ökonomen brauchen Historiker “ Thomas Groß vom Institut für Bank- und Finanzgeschichte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die bank- geschichtliche Forschung und die Frage, wie sich die Rolle der Kreditinstitute in den letzten 50 Jahren verändert hat. I m Hauptberuf ist Thomas Groß stellver- tretender Vorstandschef der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba). Ehrenamt- lich engagiert er sich als Vorsitzender des Vorstands des Instituts für Bank- und Finanz- geschichte (IBF) in Frankfurt. Herr Groß, braucht es in der digitalen Welt ein Institut für Bankgeschichte? Thomas Groß: Die Frage suggeriert, dass sich das Interesse an der Geschichte und der Nut- zen einer Analyse historischer Daten auf die analoge Welt beschränken. Dies ist nicht so. Tatsächlich erweitert sich beides im Zuge der Digitalisierung. Mit ihrer Hilfe kann man gro- ße Datenmengen und damit auch historische Daten verarbeiten, was sich Finanzinstitute – vermittelt über die Forschung – zunutze ma- chen können. Ein Beispiel ist der Aufbau von Datenbanken, die Erkenntnisse zur Rendite einzelner Anlageklassen in langfristiger Per- spektive gestatten. Das IBF bietet eine Platt- form, auf der sich mit der Langfristperspek- tive beschäftigte Wissenschaftler und Praxis- vertreter austauschen können. Um solche Da- tenpotenziale zu heben, brauchen die Ökono- men aber die Kooperation mit Historikern, die darin geschult sind, Quellen auszuwerten, das heißt Daten zu erheben und auszuwerten. Welche Herausforderungen ergeben sich durch die zunehmende Digitalisie- rung für die Forschung? Um historische Daten für die Zukunft zu be- wahren, bedarf es in Zeiten der Digitalisie- rung großer Anstrengungen im Record-Ma- nagement und in der Langzeitarchivierung. Das IBF gibt Archivaren ein Forum, sich über ihre Tätigkeit im Zeichen der Digitali- sierung auszutauschen. Die Digitalisierung der Banken hat im Übrigen selbst inzwischen eine rund 50-jährige Geschichte, die sich zu betrachten lohnt. Einerseits zwangen einige Geschäftsmodelle die Banken zur Automati- sierung und Digitalisierung, etwa im Retail- geschäft. Andererseits ermöglichte ein früh- zeitiger Einstieg einigen Instituten, im Wett- bewerb eine führende Position zu erlangen. Hat sich aus Ihrer Sicht die gesellschaft- liche Rolle der Banken in den letzten 50 Jahren verändert? Der bis in die 1980er-Jahre häufig zitierte To- pos von der „Macht der Banken“ suggerierte, dass Banken nicht nur eine Schlüsselstellung für die Realwirtschaft besitzen, sondern auch erheblichen Einfluss auf Unternehmen und Staat ausüben. Ende 1990er-Jahre löste sich die „Deutschland AG“ allmählich auf mit der Folge, dass sich die Großbanken von vielen ihrer Industriebeteiligungen und Aufsichts- ratsmandaten trennten oder diese stark dezi- mierten. Auch die Finanzkrise sowie das durch die Digitalisierung bedingte Aufkom- men zahlreicher Anbieter von Finanzdienst- leistungen jenseits des Bankensektors trugen dazu bei, dass sich die gesellschaftliche Rolle der Banken verändert hat. Schließlich sind in den letzten Jahren Aspekte der Nachhaltigkeit im Bankenbereich immer wichtiger gewor- den. Die EU-Kommission möchte gerade den Finanzsektor dazu nutzen, in der Wirtschaft ein Umsteuern auf Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Damit wird in den kommenden Jahren die gesellschaftliche Rolle von Banken vermutlich wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit treten. MARCUS HIPPLER | FP Thomas Groß, IBF: „Aspekte der Nachhaltigkeit sind im Bankenbereich immer wichtiger geworden.“ 396 www.fondsprofessionell.de | 1/2020 bank & fonds I forschung

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