FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2020

Tilp. Gelingt es einer Kanzlei, zehn Klagen zur selben Sache bei dem zuständigen OLG vorzulegen, kann ein KapMuG- Verfahren starten. Für den anstehenden Prozess wird dann ein Musterkläger ausgewählt, der mit seinem Anwalt stellver- tretend für alle anderen mutmaßlich Ge- schädigten in den Ring steigt. Sobald das Verfahren erö net ist, werden bundesweit alle weiteren Klagen in der betre enden Rechtssache eingefroren. In Geduld üben Für die Klägergemeinschaft beginnt nun eine Wartezeit. Sie können am Fortgang der Dinge zwar mitwirken, indem sie Beweismittel oder Rechtsgutachten liefern. Ansonsten aber müssen sie sich gedulden, bis das Oberlandesgericht seine Entschei- dung tri t und ein sogenannter Musterent- scheid ergeht. Entscheiden die Richter zu ihren Ungunsten, geht das Verfahren in der Regel in die Rechtsbeschwerde zum Bun- desgerichtshof (BGH). „Ein KapMuG-Verfahren dauert meist viele Jahre“, berichtet Anwalt Tilp. Anderer- seits ist der Zug durch die Instanzen bei Einzelklagen auch nicht in wenigen Mo- naten erledigt. Ein großer Vorteil des KapMuG liegt darin, dass es den Gelbeutel der Kläger im Vergleich zu individuellen Prozessen weniger belastet. Falls letzten Endes auch die Rechtsbeschwerde beim BGH scheitert, tragen die Kläger im We- sentlichen nur die Rechtskosten für ihr selbst angestrengtes Verfahren vor dem Landgericht. Für den Gang vor das Ober- landesgericht sieht das Gesetz keinerlei Ko- sten vor, und die Kosten einer eventuellen Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof werden im Unterliegensfall auf sämtliche Kläger umgelegt. Den größten Pluspunkt bieten aber die allgemein formulierten Feststellungsziele. Der Grund dafür: Geht ein KapMuG-Ver- fahren für die Klägerseite gut aus, erfasst die Entscheidung alle Beteiligten gleicher- maßen. Sie brauchen diese dann in schrift- licher Form nur noch ihrem Landgericht vorzulegen, das daran gebunden ist und gar nicht anders kann, als dem Musterent- scheid zu folgen. Andreas Tilp, Tilp Rechtsanwaltsgesellschaft: „Wir machen im Fall Wirecard Kursverluste geltend, die Anleger unbestreitbar erlitten haben.“ KapMuG und Musterfeststellungklage: Die deutschen „Sammelklagen“ Quelle:FONDSprofessionellRecherchen |Stand:August2020 Klage nach dem Kapitalanleger- Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Klage nach dem Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage In Kraft getreten 1. November 2005, letzte Änderung am 21. Juli 2019 2. November 2018 Wer ist klagebefugt? Privatanleger, institutionelle Anleger, Unternehmen aller Art „Qualifizierte Einrichtungen“, z. B. Verbraucherzentralen und -verbände Anwalt nötig? Ja Nein Gründe für eine Klage Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen aufgrund von mutmaßlich falscher, irreführender oder unterlassener Kapitalmarktinformationen Durchsetzung von Ansprüchen von mutmaßlich durch Unternehmen geschädigte Verbraucher Wo wird das Verfahren beantragt und geführt? Klage beim LG, Beantragung des KapMuG-Verfahrens beim OLG, Musterverfahren (erste Instanz) vor dem LG Beim zuständigen OLG Klageregister Im elektronischen Bundesanzeiger Beim Bundesamt für Justiz Voraussetzung Zehn gleichgerichtete Klagen binnen sechs Monaten ab KapMuG-Antrag Für Klage: mindestens zehn Verbraucher mit Ansprüchen; für Verfahren: nach zwei Monaten mindestens 50 im Klageregister eingetragene mutmaßlich betroffene Verbraucher Kosten Kosten können für das individuelle Verfahren vor dem zuständigen Landgericht anfallen Keine fondsprofessionell.de 3/2020 419

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