FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2020

Bei der Musterfeststellungsklage ist das anders. Bei der kleinen KapMuG-Schwester haben Verbraucher nicht die Möglichkeit, selbst zu klagen. Dies ist Verbänden vorbe- halten, die dafür bestimmte Vorausset- zungen erfüllen müssen. Einer, der diese Bedingungen de nitiv erfüllt, ist der Ver- braucherzentrale Bundesverband (VZBV). Erste Klagen im Finanzbereich Der VZBV verklagte zusammen mit der Verbraucherzentrale Bayern im Juli 2020 die Sparkasse Nürnberg wegen mutmaß- lich unzulässiger vorzeitiger Kündigungen von Prämiensparverträgen.Die Verbraucher- zentrale (VZ) Sachsen reichte mehrere Mus- terfeststellungsklagen gegen in ihrem Bun- desland ansässige Sparkassen aufgrund von falscher Zinsberechnung bei solchen Verträ- gen ein. Im Finanzbereich sind es die ersten Musterfeststellungsklagen überhaupt. „Um Klage einzureichen, sind zehn glei- che Fälle notwendig“, erläutert Michael Hummel, Referatsleiter Recht bei der VZ Sachsen. Sind diese beim zuständigen OLG eingegangen, wird ein Klageregister beim Bundesamt für Justiz erö net, in das sich Verbraucher eintragen können. 50 müssen sich binnen zwei Monaten registrieren, dann kann das Verfahren erö net werden. Die Kosten trägt der klagende Verband. Im Falle einer negativen Entscheidung für die Verbraucher ist die Sache beendet. Eine individuelle Klage ist dann nicht mehr möglich. Im umgekehrten Fall muss jeder Einzelne selbst vor Gericht ziehen, um seine Ansprüche geltend zu machen, denn: Die Entscheidung ist für das zustän- dige Amts- oder Landgericht zwar bin- dend, was die de nierten Feststellungsziele angeht. Da das OLG aber nicht feststellen kann, ob im Einzelfall eventuell Sonderver- einbarungen getro en wurden, die etwa ei- nem Schadenersatz entgegenstehen, ist die Individualklage unabdingbar. Das habe zu- mindest der Gesetzgeber so gesehen, das sei politisch gewollt gewesen, um eine „Klage- industrie“ zu verhindern. Hummel selbst sieht die Sache allerdings anders. Berater eher nicht betroffen Dass Finanzanlagen- oder Versicherungs- vermittler befürchten müssen, von einem KapMuG-Verfahren oder einer Musterfest- stellungsklage betro en zu sein, halten Hummel und Tilp nicht für völlig ausge- schlossen, in den meisten Fällen aber für unwahrscheinlich. Denn dafür müssten sie schon massenhaft fehlerhafte Informatio- nen an Fondsanleger herausgeben oder vie- le Kunden gleichermaßen falsch beraten. Wer aber möglicherweise tatsächlich etwas zu befürchten hat, ist die Ba n. ANDREA MARTENS FP Michael Hummel, Verbraucherzentrale Sachsen: „Nach einer Musterfeststellungsklage müssen Ver- braucher klagen, um Ansprüche durchzusetzen.“ US-Sammelklagen und die Pläne des EU-Gesetzgebers Class Action: In den USA gibt es seit vielen Jahren echte Sammelklagen. Im Vergleich zum deutschen Kapitalanleger-Musterverfah- ren und zur Musterfeststellungsklage lassen sich zahlreiche Unterschiede er- kennen. So ist es etwa möglich, einen Beklagten zur Herausgabe von belasten- dem Beweismaterial zu zwingen, was in Deutsch- land nicht vorgesehen ist. Auch entscheiden hier- zulande keine Geschworenen über den Ausgang eines Verfahrens. Der zentrale Unterschied zwi- schen der US-Sammelklage „Class Action“ und den deutschen Musterklagen ist jedoch das Opt- out-Modell. Dabei wird zunächst eine bestimmte Gruppe von mutmaßlich Geschädigten, die „Class“, definiert. Alle Personen und Unternehmen, die unter diese Definition fallen, gehören automatisch zur Class, ein Eintrag in einem Klageregister ist nicht nötig. Da die Gruppe der mutmaß- lich Geschädigten damit sehr groß aus- fällt, baut sich enormer Druck auf den Beklagten auf. Ergeht ein Urteil, steht den Geschädigten Schadenersatz zu, ohne dafür vor Gericht ziehen zu müssen. Darum machen Beklagte oft üppige Vergleichsangebote. Europäische Richtlinie: Die EU-Kommission, der Europäische Rat und das EU-Parlament haben sich im Juni 2020 auf eine Richtlinie verständigt, die weitreichende Möglichkeiten für Sammelkla- gen vorsieht. So sollen „qualifizierte Institutionen“ wie Verbraucherverbände für Geschädigte künftig kollektiv klagen können. Die Organisationen müs- sen von den Behörden ihres Mitgliedsstaates als klageberechtigt anerkannt sein, dürfen nicht ge- winnorientiert arbeiten und müssen Rechenschaft darüber ablegen, wie sie eine Sammelklage finanzieren. Derartige Klagen sollen nur möglich sein, wenn ein nationales Gericht oder eine Behörde bereits einen Rechtsbruch durch ein Un- ternehmen festgestellt hat. Dann aber sollen die Institutionen kollektiv direkt auf Schadenersatz klagen dürfen. Solche Sammelklagen sollen auch im Bereich von Finanzdienstleistungen zulässig sein. Allerdings wurde die Richtlinie noch nicht verabschiedet. Sobald dies der Fall ist, werden die EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung in nationales Recht haben. Interview mit A. Tilp: QR-Code scannen oder www.fponline.de/Tilp320 eingeben STEUER & RECHT Sammelklagen FOTO: © VERBRAUCHERZENTRALE SACHSEN 420 fondsprofessionell.de 3/2020

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