FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2021

zuletzte sollte es seiner Steuerschuld ord- nungsgemäß nachkommen. Michael Viehmann: Sie sprechen von Stake- holder- statt Shareholder-Orientierung. Weis: Viele Marktteilnehmer waren in der Vergangenheit zu stark auf Aktienkurse, Dividenden und Gewinnmargen fokus- siert, eine sehr einseitige Sichtweise. Des- halb kamen oft Mitarbeiter, Umwelt und Staat zu kurz. Das kann sich früher oder später sehr negativ auf ein Unternehmen auswirken. Wenn es erst einmal in die Schlagzeilen gerät, weil es seine Mitarbeiter schlecht führt, Zulieferer nicht genügend überwacht oder versucht, seine Steuerlast über alle Gebühr zu optimieren, kann das nicht nur den Ruf des Unternehmens sehr stark schädigen, sondern sich auch extrem negativ auf die Marke, den Umsatz und nicht zuletzt den Aktienkurs auswirken. Sauren: Meinen Sie mit Steueroptimierung die Praxis großer amerikanischer Tech- Konzerne über deren irische Töchter? Weis: Das würden wir sicher als negativ bewerten. Das bedeutet nicht, dass es zum sofortigen Ausschluss des Unternehmens käme. Aber wir würden eine solche Praxis als Risikoquelle identifizieren und in die Gesamtbewertung des Unternehmens ein- fließen lassen. Am Ende können Unter- nehmen verklagt oder zu hohen Strafzah- lungen verdonnert werden. Ganz zu schweigen von einem möglichen Image- verlust. Das alles kann erhebliche Auswir- kungen auf den Aktienkurs haben. Bei einem Bekleidungshersteller wie Boohoo haben im vergangenen Jahr Unregelmäßig- keiten im Umgang mit Mitarbeitern von Zulieferern zu Kursverlusten von zeitweise mehr als 30 Prozent geführt. Heuser: Worum ging es, und wie haben Sie reagiert? Weis: Ein Journalist hatte aufgedeckt, dass es unter den Zulieferern von Boohoo eini- ge gab, die Mitarbeiter unterhalb des Min- destlohns bezahlt, sie gleichzeitig nicht kor- rekt in ihren Personalsystemen geführt und zudem ihre Steuerschuld nicht ordnungs- gemäß abgeführt haben. Wir haben in Boohoo ursprünglich investiert, weil wir von den langfristigen Wachstumsaussich- ten des Unternehmens überzeugt waren. Uns war zwar von Anfang an bewusst, dass das Unternehmen keineswegs führend in Bezug auf die Berücksichtigung von ESG- Kriterien ist. Das Ausmaß des Skandals hat uns dennoch überrascht. Viehmann: Sie haben sich aber nicht von demUnternehmen getrennt. Warum? Weis: Unternehmen innerhalb unseres in- vestierbaren Universums erhalten eine Nachhaltigkeitsnote zwischen eins für überdurchschnittlich und vier für schlecht. Nach der Aufdeckung des Skandals bei Boohoo wurde das Unternehmen von ehe- mals drei auf vier herabgestuft. Wir sind trotz der Vorfälle investiert geblieben und haben entschieden, das Gespräch mit den Verantwortlichen zu suchen, um sie zu einer Veränderung ihrer Beschaffungspoli- tik zu bewegen. Wir haben sowohl Carol Kane, eine Mitgründerin des Unterneh- mens, als auch den Vorstandschef zumGe- spräch getroffen, um bewusst nicht über Zahlen, sondern die Situation bei den Zu- lieferern zu sprechen und unsere Erwartun- gen an das Unternehmen deutlich zu ma- chen. Nicht nur, weil wir es als sehr positiv gesehen haben, dass die Boohoo-Führung sofort eine unabhängige Untersuchung durch eine sehr anerkannte Richterin ein- geleitet hat, sondern sich auch verpflichtet hat, zwei neue Aufsichtsratsmitglieder zu ernennen, von denen eines speziell für das Thema ESG verantwortlich sein soll. Au- ßerdem sind wir zu dem Schluss gekom- men, dass die Vorgänge bei den Zulieferern nicht das gesamte Geschäftsmodell von Boohoo in Frage gestellt haben. » Am Ende können Unternehmen verklagt oder zu hohen Strafzahlungen verdonnert werden. « Franz Weis, Comgest Eckhard Sauren, Sauren Fonds-Research MARKT & STRATEGIE Nachhaltig nachgefragt | Franz Weis | Comgest 146 fondsprofessionell.de 1/2021 NACHHALTIG NACHGEFRAGT FOTO: © CORNELIS GOLLHARDT

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