FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2021

Wohl jeder Börsianer hätte gern eine Glaskugel, in der er die künftige Kursentwicklung ablesen kann. Solange es diese nicht gibt, müssen sich Anlagestrategen mit Modellie- rungen und Schätzungen behelfen. Blick in die Zukunft Was ist mit Aktien und Anleihen in der kommenden Dekade zu ver- dienen? FONDS professionell hat die langfristigen Kapitalmarkt- prognosen verschiedener Asset Manager zusammengetragen. W o steht der Dax am Jahresende? Wie hoch wird der S&P 500 stei- gen? Und was ist in den kommenden zwölf Monaten mit europäischen „Blue Chips“ zu verdienen? Es scheint eine recht sinnlose Übung zu sein, die Aktienstrate- gen und Chefvolkswirte alljährlich unter- nehmen: In aller Regel liegen sie mit ihrer Prognose daneben, und treffen sie doch mal ins Schwarze, ist das oft genug dem Zufall geschuldet. Vor diesem Hintergrund scheinen lang- fristige Kapitalmarktvorhersagen noch mu- tiger zu sein: Wenn sich schon nicht pro- gnostizieren lässt,wohin der globale Aktien- markt in den nächsten Monaten tendiert, wie soll das mit einer Perspektive von zehn Jahren gelingen? Doch das wäre zu kurz gedacht. Der Charme langfristiger Progno- sen liegt darin, dass sich zwischenzeitliche Kursschwankungen ausmitteln können. Auf lange Sicht kommen am Aktienmarkt eben doch Faktoren wie die langfristige Gewinnentwicklung der Unternehmen zum Tragen, die viele Anleger im täglichen Hin und Her schlicht ausblenden. „Langfristige Kapitalmarktprognosen sind einer der Hauptwertbeiträge, die wir unseren Kunden liefern können, denn sie fließen entscheidend in die strategische As- set Allocation ein“, sagt Marcel Müller, Leiter Portfoliomanagement beim Family Office HQ Trust. „Wir nehmen zwar auch takti- sche Änderungen in den Depots vor, den Kern bildet aber die langfristige Ausrich- tung – und um diese ordentlich vorneh- men zu können, sind Ertragserwartungen für die kommenden Jahre elementar.“ Müller betont, dass es nicht reicht, Ren- diten der Vergangenheit in die Zukunft fortzuschreiben. „Die Historie ist wichtig, auch weil wir an ‚Mean Reversion‘ glauben, also daran, dass übertriebene Bewertungen langfristig korrigiert werden. Dennoch schauen wir nicht in den Rückspiegel, sondern nach vorn.“ Zu den Treibern, die Müller und seine Kollegen für ihre Vorher- sagen berücksichtigen, gehören das pro- gnostizierte Wirtschaftswachstum, Infla- tionserwartungen und Annahmen zum Zinsumfeld und der Gewinnentwicklung. Nullertrag mit Anleihen Der Kapitalmarktprofi räumt ein, dass es selten gelingen wird, punktgenau die Ent- wicklung am Aktien-, Renten- oder Roh- stoffmarkt vorherzusagen. „Es geht um Größenordnungen, nicht um genaue Wer- te“, ergänzt Stefan Hofrichter, Chefvolkswirt von Allianz Global Investors.Wichtiger sei ohnehin, die Differenzen zwischen den Anlageklassen zu treffen, meint Müller. „Wir erwarten beispielsweise, dass Private- Equity-Investments in den kommenden Jahren im Schnitt 2,5 Prozent per annum mehr Ertrag abwerfen werden als Aktien.“ Dennoch verbiete es sich, alles auf die ver- mutlich ertragreichste Anlageklasse zu set- » Wir schauen nicht in den Rückspiegel, sondern nach vorn. « Marcel Müller, HQ Trust MARKT & STRATEGIE Langfristiger Kapitalmarktausblick FOTO: © WAVEBREAKMEDIAMICRO | STOCK.ADOBE.COM 158 fondsprofessionell.de 1/2021

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