FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2021
Marketinginstrument Dass ein vorhandenes Zertifikat die Ver- marktbarkeit einer Immobilie verbessern kann, darüber besteht jedoch weitreichend Konsens. „Ein Green-Building-Zertifikat kann einem Objekt noch den letzten Schliff geben, bevor es in den Verkauf geht“, sagt zum Beispiel Viola Joncic, Head of Sustainability der Commerz Real. Werden Nachhaltigkeitsaspekte berück- sichtigt, erweitere das nicht nur den Kreis interessierter Käufer, sondern auch den der potenziellen Mieter, ergänzt Roland Hol- schuh, geschäftsführender Gesellschafter von Quest Funds, einem Projektentwickler für institutionelle Investoren. „Dies muss aber nicht zwingend einhergehen mit dem oft teuren Zertifizierungsprozess – viel wichtiger sind ein bewusster Umgang mit dem Bestand und beispielsweise eine ener- getisch optimierte Renovierung.“ In erster Linie kommt es also auf die Nachhaltigkeit der Immobilie selbst und nicht so sehr auf ihren Ausweis an – auch in dieser Hinsicht herrscht Konsens. „Nur um ein besseres Rating zu bekommen, las- sen wir kein Zertifikat erstellen“, sagt Nach- haltigkeitsexpertin Joncic. „Wir setzen nicht auf die Zertifizierung, sondern auf die Assets.“ Schon bevor ESG-Kriterien so rele- vant für Investmententscheidungen wur- den, war die Frage, ob eine Immobilie zer- tifiziert ist oder nicht, häufig ein Ankaufs- kriterium. Vor allem Investoren, die die Auswahl ihres Portfolios gegebenenfalls öffentlich rechtfertigen können müssen, Stiftungen oder Dax-Konzerne zum Bei- spiel, konnten die Frage auch schon vor dem ESG-Boom nicht einfach umgehen. Begleiterscheinungen Die Notwendigkeit, nicht nur auf ein vorhandenes Zertifikat verweisen zu kön- nen, sondern auch auf eine gute Note, hat mitunter schon zu bizarren Situationen geführt, wie Viola Joncic berichten kann: „Es soll schon vorgekommen sein, dass Un- ternehmen, kurz bevor der Auditor eintraf, die Handtuchspender auf den WCs ersetzt haben, nur um die Chancen auf ein Zerti- fikat in Gold zu erhöhen.“ Solche Aktionen scheinen eher einem Erfolgsdruck geschuldet zu sein als der Überzeugung, ein Maximum an Nachhal- tigkeit zu ermöglichen. Es gibt aber auch Kritik an immanenten Widersprüchen. „Die Zertifizierungssysteme decken eine enorme Vielzahl an Einzelthemen ab, die zum Teil mit Energie- und Umweltfragen gar nichts zu tun haben. So können ver- gleichsweise schlechte Energiewerte mit besseren Werten aus anderen Kategorien kompensiert werden“, gibt Thorsten Huff, Nachhaltigkeitschef beim Immobilien- dienstleister CBRE, zu bedenken. Es ist ein generelles Problem, dass im Kriterienka- talog der Zertifikate das Verhalten des ein- zelnen Nutzers oder des Facility Manage- ments nicht bestimmt werden kann. Welchen Stellenwert die eingeführten Green-Building-Zertifikate noch haben werden, wenn die Kriterien der EU-Taxono- mie breite Anwendung gefunden haben werden, ist noch weitgehend offen. Eines zeichnet sich allerdings jetzt schon ab: Die EU-Regulierung entfaltet eine ganz andere Qualität von Verbindlichkeit.Während die Green-Building-Zertifizierung freiwillig ist und häufig aus wirtschaftlichen Erwä- gungen vorgenommen wird, schreiten bei einem Verstoß gegen EU-Normen die Behörden ein. Mit einem Blick in die Niederlande kann man erahnen, was das künftig heißen kann. Dort sind sieben Labels gestaffelter Energieeffizienz für Gebäude definiert und gesetzlich verabschiedet worden. Büro- immobilien mit mehr als 100 Quadrat- meter Fläche müssen ab 2023 mindestens die Werte zur Erreichung des drittstrengs- ten Labels nachweisen können – sonst droht ihnen ein Nutzungsverbot. TILMAN WELTHER FP Viola Joncic, Commerz Real: „Ein Green-Building- Zertifikat kann einem Objekt noch den letzten Schliff geben, bevor es in den Verkauf geht.“ Thorsten Huff, CBRE: „Die Zertifizierungssysteme decken viele Einzelthemen ab, die zumTeil mit Energie- und Umweltfragen gar nichts zu tun haben.“ » Viel wichtiger als eine Zertifizierung ist ein bewusster Umgang mit dem Bestand. « Roland Holschuh, Quest Funds SACHWERTE Green Buildings 224 fondsprofessionell.de 1/2021 FOTO: © COMMERZ REAL | CBRE
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