FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2021

Prioritätsklassen Basis der gesamten Analyse sind vier Prioritätsklassen. In der ersten subsumiert die Norm „Risiken mit wahrscheinlicher Existenzbedrohung“. Die zweite erfasst „Ri- siken mit möglicher Existenzbedrohung“. In Stufe drei gehören „Risiken ohne Exis- tenzbedrohung“ für den Betrieb. Zuletzt gibt es noch die Prioritätsklasse „Unbedeu- tend“. „Die Anordnung der zu analysieren- den Themen ergibt sich damit aus der Prioritätsklasse“, erklärt Gellert. „Innerhalb einer Prioritätsklasse gibt es eine klare Rei- henfolge bei der Darstellung der Themen, aber diese spiegelt keine Wertigkeit wider. Es geht nach erfolgter Priorisierung einfach darum, mit dem Kunden den gemein- samen Fahrplan für die weitere Beratung abzustecken.“ Klar sei aber, dass bei allen Unternehmen der Punkt der betrieblichen Haftungsrisiken immer vorn stehe. Die Einstufung eines Finanzthemas in eine Prioritätsklasse ergibt sich aus dem Fragebogen, der für jedes Thema genaue Vorgaben macht. Allerdings führen der ers- te Prozessschritt, die Aufnahme der not- wendigen Daten des Unternehmens, und auch die Fragestruktur laut Grellert dazu, dass bestimmte Themen unter Umständen obsolet sind. „Ein freier Journalist hat in aller Regel keine Mitarbeiter. Daher ent- fallen alle Themen, die zum Sachverhalt ‚Mitarbeiter‘ gehören.“ Ferner sei es auch möglich, dass ein Kunde nur einzelne Haf- tungspunkte besprechen möchte. In der Praxis sieht die Analyse, die zwi- schen ein und zwei Stunden dauern kann, daher wie folgt aus: Zuerst kommt die Ab- frage der erwähnten Organisationsdaten wie Rechtsform,Umsatz und Gewinn oder die vorhandene Liquidität. Beim zweiten Schritt, der Erfassung der Prioritätsklassen, werden zudem aus vorhandenen Versiche- rungen und Finanzprodukten die „Ist-Wer- te“ des Betriebs berechnet und den vom Normenausschuss vorgegebenen „Soll-Wer- ten“ für die Absicherung gegenübergestellt – etwa ob die Versicherungssumme für die Solaranlage mindestens zehn Millionen Euro beträgt. Am Ende erhält der Kunde wie bei der DIN 77230 eine quantitative Au istung über mögliche Risiken und Finanzen inklusive einer Liquiditätsüber- sicht. „Der Berater muss dann mit dem Kunden entscheiden, wie die Liquidität genau eingesetzt wird“, erläutert Grellert. Skepsis Im Gegensatz zur Finanznorm für die Privathaushalte, die unter großer Aufmerk- samkeit und auch Kritik eingeführt wurde, ist es um die DIN 77235 bislang ruhig geblieben. Einige Marktteilnehmer stehen der Norm jedoch skeptisch gegenüber. „Die Norm ist aus unserer Sicht nicht besonders sinnvoll. Die Anforderungen an die Analyse eines Betriebs sind imDetail so umfassend und verschieden, dass man sie nicht verallgemeinern und in eine Norm packen kann“, sagt Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler. „Hinzu kommt, dass Makler für eine Erfassung etwa der Risiken eines Selbstständigen kei- ne Hilfe durch eine Norm brauchen. Das ergibt sich aus der Branche selbst“, so Jens- sen, dessen Verband sich in diesem Nor- menausschuss nicht engagiert hat. JENS BREDENBALS FP » Es geht einfach darum, mit dem Kunden den gemeinsamen Fahrplan für die weitere Beratung abzustecken. « Mathias Grellert, Defino Normen als Geschäftsmodell Mit der DIN 77235 hat das Heidelberger Defino Institut für Finanznorm, dessen Geschäftsmodell die Zertifizierung von Vermittlern und Software ist, bereits das zweite Regel- werk initiiert. Ein drittes ist schon in Vor- bereitung: die DIN 77223 „Vermögens- und Risikoanalyse von Privatanlegern“, die auf einer 2016 veröffentlichten Normvorstufe DIN Spec 77223 basiert. Sie macht unter anderem Vorgaben zur Risikoprofilierung von Privatkunden und zur Beschreibung von Risikoklassen. „Mit der neuen Normwollen wir die von den Anlagebera- tern als verunsichernd wahrgenommenen Regelungslücken schließen und so kon- krete Hilfestellung leisten“, kündigte das Defino Institut zum Start der Arbeit an dieser Norm im Februar 2019 an. Der Grund für die Entwicklung weiterer Normen ist zum einen, dass es die Logik der DIN 77230 gebietet, Lücken in anderen Bereichen wie der Finanzanalyse von Selbstständigen zu schließen. „Zum anderen möchte die Defino wachsen“, kommentiert Andreas Adam, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Ajco Solutions. „Sie möchte ihr eigenes Geschäft ausweiten. Dazu passt, nach der DIN 77230 eine Norm für kleine Unternehmen und Selbstständige sowie auch die dritte Norm für die Vermögens- und Risikoanalyse von Privatanlegern zu entwickeln.“ DIN fondsprofessionell.de 3/2021 405

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