FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2021

winne geben könnte, sondern auch Verlus- te. Hinzu kommen die generelle Bereit- schaft einer Person, längere Verlustphasen zu ertragen, in denen der Kurs unter dem Einstandskurs liegt, und die Frage, welche Schwelle ein möglicher Verlust nicht über- schreiten dürfte.“ Schließlich gebe es noch die Liquiditätsneigung: „Wer schnell auf sein Geld zugreifen muss, ist grundsätzlich weniger risikogeneigt“, so der Wirtschafts- psychologe. Ihm zufolge sollten zumindest diese Punkte abgefragt werden, um die Risikobereitschaft zu ermitteln. Die Psychologin Monika Müller, Inhabe- rin von FCM Finanz Coaching und Mit- glied im Arbeitsausschuss für die DIN, kann die Kritik nachvollziehen. Ein wissen- schaftlich fundierter psychometrischer Test sei für die Ermittlung der Risikobereitschaft zwar besser geeignet – sie selbst kooperiert mit dem zu Morningstar gehörenden Risk- Profiling-Spezialisten Finametrica, der mit 25 Fragen arbeitet. Aber: „Ein solcher Fra- gebogen ließ sich nicht in die Norm inte- grieren, weil der Anbieter dann die Syste- matik hinter seiner Abfrage und damit sein Geschäftsgeheimnis hätten offenlegen müs- sen“, sagt Müller. Die „Single Item Scale“- Frage in der Norm sei eine gute Alterna- tive: „Neuere Forschungen ergaben, dass eine klare und verständliche Frage zur eige- nen Risikoeinschätzung sehr verlässliche Resultate liefert.“ Zudem: Dass Menschen, wenn sie schneller auf Geld zugreifen müs- sen, weniger Risiko eingehen, bilde die 77223 mit der zweckgebundenen Risiko- bereitschaft ab. Ruf nach dem Gesetzgeber Verbraucherschützer üben generell Kritik und plädieren für neue Gesetze: „Die ge- setzlichen Regelungen nach dem Versiche- rungsvertragsgesetz, dem WpHG und der FinVermV, auf denen diese Norm aufbaut, sind bereits im Ansatz vollkommen unge- eignet, das Risikoprofil des Anlegers zu erfassen“,meint Nils Nauhauser, der zustän- dige Abteilungsleiter bei der Verbraucher- zentrale Baden-Württemberg. „In der der- zeitigen Situation bedarf es verbraucher- orientierter gesetzlicher Regelungen, aber keiner Normensammlung.“ Branchenkenner monieren zudem den Umfang der Abfrage – sie befürchten, Kun- den damit zu überfordern. Das sieht Defi- no-Chef Möller gelassen: „Für Kunden, die keine oder nur eine Immobilie sowie nur ein Depot besitzen, muss man sicher nur eine halbe Stunde veranschlagen.“ Zumal die Norm erlaube, nur einzelne Aspekte wie die generelle Risikobereitschaft und -tragfähigkeit zu beleuchten. Wie die Branche die 77223 annimmt, wird die Zukunft zeigen. Zunächst muss das DIN-Institut die Kommentare zum Entwurf sichten und den endgültigen Normtext veröffentlichen. Dieser sollte Beratern einen genauen Blick wert sein. JENS BREDENBALS FP » Die Regulierung macht bestimmte Vorgaben, schreibt aber keinen konkreten und komplet- ten Prozess vor. « Marco Habschik, Everest Die rechtlichen Implikationen der DIN 77223 Die Normmacher weisen darauf hin, dass die Befolgung der DIN 77223 Berater vor Haftung im Fall eines Prozesses wegen Falschberatung schützen kann. Rechtsanwalt Udo Brinkmöller, Partner der Düsseldorfer Kanzlei BMS Rechts- anwälte, stimmt dem nur bedingt zu. Nicht anleger- oder nicht objektge- recht: „Vor Gericht wird gestritten, ob eine Bera- tung nicht anlegergerecht und/oder objektgerecht war. Im ersten Fall geht es beispielsweise darum, ob der Vermittler einem Kunden, der eine Risiko- bereitschaft gemäß Klasse 3 hat, gegen dessen Willen ein Produkt aus einer höheren Risikoklasse verkauft hat“, so der Jurist. Nicht anlegergerecht: Stimme der Kunde einem risikoreicheren Produkt zu, weil er höhere Renditen benötigt, sei das in Ordnung – das ge- währleiste die DIN 77223 auch mit Unterscheidung zwischen genereller und zweckgebun- dener Risikobereitschaft. „Das rechtliche Risiko einer Haftung wegen nicht anlegergerechter Beratung sollte bei Befolgung der Norm und entsprechender Dokumentation sinken – auch wenn es sicherlich Richter gibt, die die DIN nicht berücksichtigen werden“, meint Brinkmöller. Nicht objektgerecht: In der Praxis drehen sich die allermeisten Prozesse aber um nicht objektgerechte Beratungen, hat Brinkmöller be- obachtet. Der Vorwurf lautet dann, dass der Berater dem Kunden keine oder falsche Infor- mationen zu einem Produkt gegeben habe. „Das wiederum ist explizit nicht Bestandteil der Norm“, so der Anwalt. „Eine Dokumentation einer DIN-gemäßen Risikoanalyse nützt hier wenig. Allerdings könnte anhand der DIN- Analyse eine hinreichende Vorerfahrung mit bestimmten Produkten und damit deren typischen Risiken dokumentiert sein, was derartige Vorwürfe abschwächen bis ausschließen könnte.“ STEUER & RECHT DIN-Norm 416 fondsprofessionell.de 4/2021 FOTO: © NELE MARTENSEN | EVERS & JUNG

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