FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2022
nicht verbieten. Viele sind darauf ange- wiesen. Als Erstes müssen wir pragmatisch sein und anerkennen, dass wir noch immer Öl brauchen. Wir müssen akzeptieren, dass wir auf kurze Sicht unbedingt in den Ölsektor investieren müssen. Gleichzeitig muss man die Alternativen stärker be- schleunigen. Die Klima-Limits sind seit Langembekannt. Warum fällt uns die Energiewende eigent- lich so schwer? Eine Energietransition hat es noch nie in der Geschichte gegeben. Wir haben nach der Entdeckung von Kohle nicht aufge- hört, Holz zu verwenden. Wir haben alle neuen Energiequellen einfach immer akkumuliert. Zu Beginn der 1970er-Jahre haben wir 86 Prozent unserer Energie aus fossilen Quellen konsumiert. Heute sind wir noch immer bei 80 Prozent. Und die müssen wir komplett loswerden. Das ist keine Veränderung, das ist eine Revolution. Teils liegen die benötigten Rohstoffe in politisch instabileren Ländern. Was bedeu- tet das für unsere Energiezukunft? Wir müssen dringend unsere Diplomatie überdenken.Diese orientiert sich heute ent- lang fossiler Energieträger. Wenn Metalle das heutige Öl sind, frage ich mich, welche Bindungen wir etwa zur Demokratischen Republik Kongo haben. Kongo speist 65 Prozent der Kobaltproduktion und der Reserven weltweit. Man sollte auch bei südamerikanischen Ländern anknüpfen, wo Kupfer oder Silber produziert werden. Aber am dringendsten müsste man mit China reden, das verantwortlich ist für fast die gesamte globale Produktion und Ver- edelung seltener Erden. Seltene Erden sind zwar nicht so entscheidend für die Energie- wende, für einige Technologien sind sie aber nötig, etwa in Offshore-Windparks. China hat imUnterschied zu Europa längst Beziehungen zu Afrika oder Südamerika aufgebaut. Sind wir zu spät dran? Wir haben zu lang nicht bemerkt, wie wichtig das ist. Aber es gibt historische Bin- dungen zu diesen Ländern, und wir müs- sen sie wieder aufbauen. Interessant ist die Ausbildung der Staatslenker: In China be- steht fast die ganze Regierung aus Ingenieu- ren. Staatspräsident Xi Jinping hat ein Di- plom in Geologie.China hat schon Anfang der 2000er-Jahre Beziehungen zu metall- produzierenden Ländern aufgebaut,Minen gekauft. Natürlich war die Volksrepublik durch ihr starkes Wachstum dazu gezwun- gen. Aber schauen Sie mal, woher bei uns die Politiker kommen: Der letzte Ingenieur an der Staatsspitze Frankreichs war Valéry Giscard d’Estaing in den 1970er-Jahren. Seit- her hatten wir nur Technokraten. Das ist nicht schlecht, aber die denken einfach an- ders. Vor ein paar Monaten hat unser Präsi- dent Emmanuel Macron erstmals öffent- lich eine Zusage zur Sicherung unseres Rohstoffbedarfs gemacht und eine Milliar- de Euro bereitgestellt. Endlich hat man auch bei uns die Wichtigkeit verstanden. Einige Länder in Europa überlegen gerade, welche Rohstoffe man im Inland gewinnen kann. Können das bedeutende Anteile sein? Die Eigenproduktion ist eine gute Diversi- fizierungsmöglichkeit. Evaluiert wird das derzeit auch auf EU-Ebene. Aber viele Metalle haben wir nicht in ausreichender Menge.Und man muss bedenken: Von der Entdeckung einer Quelle bis zum Abbau vergehen sechs bis sieben Jahre. Wir müs- sen also in den nächsten Jahren andere Wege gehen. Wir sollten auch das Recy- cling beschleunigen. Aber das ist ebenfalls nicht die spontane Antwort, die wir brau- chen.Wir haben jetzt einen riesigen Bedarf, nicht in zehn Jahren. Vielen Dank für das Gespräch. EDITH HUMENBERGER-LACKNER FP » Wir müssen dringend unsere Diplomatie überdenken. « Benjamin Louvet, Ofi KURZ-VITA: Benjamin Louvet Benjamin Louvet ist seit 2015 Head of Commodities Ma- nagement Strategies bei Ofi Asset Management. Er verant- wortet den Ofi Precious Metals Fund. Louvet begann seine Karriere im Derivateverkauf und stieß später zur BNP-Pari- bas-Gruppe, außerdem zählt er zu den Mitgründern des Ver- mögensverwalters Prim’ Finance. Der studierte Finanzmana- ger (Universität Paris I – Panthéon Sorbonne) berät als Roh- stoffspezialist französische und EU-Behörden. FOTO: © OFI 138 fondsprofessionell.de 1/2022 MARKT & STRATEGIE Benjamin Louvet | Ofi
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