FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2022
Können die Notenbanken rasch genug rea- gieren? In den vergangenen Jahren waren Fed oder EZB ja selbst verunsichert über die schleppendeWirkung ihrer Eingriffe. Bis zum letzten Jahr hat es die Ökonomen tatsächlich frustriert, dass die expansiven Maßnahmen nicht zu höheren Löhnen und mehr Inflation geführt haben. Des- wegen kann man Fed und EZB keinen Vorwurf machen, dass sie ihre Geldpolitik diesmal relativ spät gestrafft haben. Im Nachhinein wissen wir, eine frühere Zins- wende wäre besser gewesen – vor allem in den USA, wo der starke fiskalpolitische Stimulus wirklich inflationär wirkt. Dort steigen nicht nur Öl- und Lebensmittel- preise, sondern auch die Löhne. Mehr als 70 Prozent des Warenkorbs sind mindes- tens fünf Prozent teurer als im Vorjahr. Da gleichzeitig Arbeitskräfte sehr knapp ge- worden sind, ist die Gefahr von Lohn-Preis- Spiralen klar gestiegen. Das ist in Europa noch nicht so dramatisch. Ja. Starke Lohnsteigerungen sind im Euro- raum bisher noch ausgeblieben. Aber sie sind nicht auszuschließen, wenn die Infla- tion länger bei über fünf Prozent bleibt. Früher galt: „Bei guter Konjunktur steigen die Löhne und dann die Inflation.“ Dieser Mechanismus hat in den vergangenen Jah- ren nicht mehr funktioniert. Beschäftigte haben in der globalisierten, automatisierten Welt weniger Preissetzungsmacht. Darf man heute überhaupt noch Inflation über steigende Löhne erwarten? Die Enge des Arbeitsmarktes und der theo- retisch daraus resultierende Inflationsdruck haben zur Prognose der Inflation tatsäch- lich lange Zeit nicht getaugt. Das ist sicher auch der Grund, warum die Notenbankin- terventionen dermaßen stark ausgefallen sind. Man hat sich gesagt: Okay, reizen wir doch mal wirklich den Arbeitsmarkt aus, sodass jeder eine Stelle bekommt, egal wie qualifiziert.Nun müssen wir uns allerdings fragen, ob die Gründe, die Sie angespro- chen haben, sich nicht gerade in eine ande- re Richtung entwickeln. Sie meinen, weil die Globalisierung teils zurückgedreht wird? Wir merken, dass die globalen Wertschöp- fungsketten nicht ausreichend funktionie- ren. Das liegt nicht nur am Krieg in der Ukraine und an den Sanktionen gegen Russland. Ein Covid-19-Ausbruch in China genügt, und Containerschiffe können dort die Häfen nicht verlassen. Die globale Just- in-Time-Produktion kann nicht mehr gewährleistet werden. Ich denke daher, ge- wisse wichtige Produktionsschritte werden wieder in die finalen Absatzmärkte verla- gert. Steigende Preise wären die logische Folge. Auch die Bevölkerungsalterung und die damit verbundene Arbeitskräfteknapp- heit könnten die Inflation erhöhen. Auf welche anderen preistreibenden Ent- wicklungen muss man achten? Die Klimawende. Es ist vollkommen klar: Wenn wir den Kohlendioxidausstoß über den Preis reduzieren wollen, werden die Energiekosten steigen. Das ist ein Infla- tionsbeitrag, den ich in Maßen begrüße. » Im Nachhinein wissen wir, eine frühere Zinswende wäre besser gewesen. « Karsten Junius, J. Safra Sarasin fondsprofessionell.de 1/2022 153
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