FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2022

Detlev Hummel, emeritierter Professor der Universität Potsdam , über die Folgen des enormen Wachstums indexnaher Geldanlagen – und die Frage, warum ein ETF dem Einzelnen nicht die Verant- wortung für seine Investments abnimmt. E s wäre wohl kein Fehler, Detlev Hum- mel als Professor im Unruhestand zu beschreiben. Der Finanzwissenschaftler wurde zwar 2020 emeritiert, nimmt aber weiterhin Lehraufträge in Potsdam, Ham- burg und Peking wahr. Außerdem hat er eine Professur im polnischen Opole inne und berät Unternehmen aus der Finanz- dienstleistungsbranche. Einer seiner Schwer- punkte ist das Asset Management. Herr Hummel, Sie blicken mit Sorge auf den Boom der ETF-Branche. Warum? Detlev Hummel: Um nicht falsch verstan- den zu werden: ETFs sind an sich eine wunderbare Erfindung. Sie sind ein trans- parentes, nachvollziehbares und günstiges Finanzprodukt. Ich beobachte aber, dass viele Anleger sie zu unreflektiert einsetzen. Außerdem schlägt das Pendel seit einigen Jahren gefährlich in Richtung passiver Investments aus. Die „Aktiv versus passiv“- Debatte kam schon in den 1960er-Jahren auf, und es gibt gute Argumente für beide Seiten. Der enorme Boom der passiven Investments in den vergangenen zehn Jah- ren hat aber dafür gesorgt, dass die Preisfin- dung an der Börse in bestimmten Markt- phasen nicht mehr wirklich funktioniert. Für den Kurs einer Aktie geben die Funda- mentaldaten oft gar nicht mehr den Aus- schlag. Denn die Investoren analysieren nicht mehr die Einzeltitel, sondern laufen schlicht den Trends hinterher. Das hebelt die Funktion der Märkte aus, für eine effi- ziente Kapitalallokation zu sorgen. Moment, auch wenn die ETF-Branche in den vergangenen Jahren rasant gewach- sen ist: Noch werden die Märkte von akti- ven Investoren dominiert. Sie haben insofern recht, als nur rund zwölf Prozent des verwalteten Vermögens in ETFs stecken. Sie dürfen aber das „Closet Indexing“-Phänomen nicht aus- klammern: Viele Manager behaupten nur, dass sie aktiv investieren würden, in Wahr- heit folgen sie beinahe eins zu eins ihrem Vergleichsindex. Der Grund ist, dass sie nichts falsch machen wollen. Das mag aus ihrer Sicht verständlich sein, verschärft aber das Problem. Auch die Finanzaufsicht sieht das kritisch, unter anderem wegen der Gefahr möglicher Liquiditätsengpässe, die drohen, wenn sich die Stimmung plötzlich dreht und die Mehrheit der Investoren ihre Aktien verkaufen möchte. Diesen „Index- schmusern“ ist allerdings schwer beizukom- men. Sie können immer argumentieren, das Portfolio sei das Ergebnis ihrer Analyse und stimme nur zufällig mit dem Index überein. Ein weniger homogenes Verhalten der Investoren würde die Preisbildung an den Finanzmärkten jedenfalls verbessern. Es geht aber nicht nur um die Bewertungs- funktion der Märkte für Einzeltitel. Sondern? Auch bei der Stimmrechtsausübung gibt es Tendenzen, die kritisch hinterfragt werden müssen. Die Aktionärsdemokratie ist eine wichtige Sache. Allerdings muss klar sein, dass sie es den großen Asset Manager ermöglicht, erheblichen Einfluss auf die Strategie der Unternehmen in ihrem Port- folio zu nehmen. Sie treiben die Unterneh- men zu immer weiterem Wachstum und kurzfristigem Erfolgsdruck, was strategische Ziele schwerer erreichen lässt … … was ja genau ihr Auftrag ist. Schließlich sollen sie das Geld ihrer Kunden mehren. „Anleger setzen ETFs oft zu unreflektiert ein“ » Die Investoren analysieren nicht mehr die Einzeltitel, sondern laufen schlicht den Trends hinterher. « Detlev Hummel, Universität Potsdam 138 fondsprofessionell.de 2/2022 MARKT & STRATEGIE Detlev Hummel | Universität Potsdam

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