FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2022

diesen Schritt erst gar nicht machen“, sagt Müller. Und das hat seinen Grund. „Menschen tendieren dazu, im gegen- wärtigen Zustand zu verharren, solange kei- ne aktive Entscheidung verlangt wird“,weiß Nora Stampfl, Inhaberin des F/21 Büros für Zukunftsfragen aus Berlin. „Deshalb haben sich generell – auch in der Altersvorsorge – Default-Regeln als Nudging-Instrument bewährt“, erläutert die Zukunftsdenkerin. Opting-in und Opting-out Nudging kann dabei entweder als Opting-in- oder als Opting-out-Modell aus- gestaltet sein. Stampfl erklärt das Opting-in an einem Beispiel: „Ist die Ausgangslage, nicht versichert zu sein, dann ist anfänglich niemand versichert. Zur Versicherung kommt es erst, wenn sich jemand aktiv dafür entscheidet.“ Opting-out hingegen umfasst den Ausgangszustand, versichert zu sein. In diesem Fall ist in einem Land grundsätzlich jeder Bürger Mitglied der Alterssicherung, eine aktive Entscheidung kann dies jedoch beenden. Diese Form des Nudgings könnte mög- licherweise auch in Deutschland bald grei- fen. Immerhin will die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in der privaten Altersvorsorge das Angebot eines öffentlich verwalteten Fonds mit Abwahlmöglich- keiten prüfen. Doch nicht nur die Bundes- regierung, auch jeder einzelne Finanzbera- ter und Versicherungsvermittler kann seine Kunden in Sachen Altersvorsorge zu bes- seren Entscheidungen veranlassen, indem er Nudges verwendet. „Grundsätzlich sind der Ausgestaltung von Nudging keine Grenzen gesetzt“, sagt Nora Stampfl. Die Umsetzung hänge natürlich immer vom Einzelfall ab. „Hier stellt sich die Frage, woher die Entscheider wissen, was zum individuellen oder ge- meinschaftlichen Besten ist“, so Stampfl. Denn Nudging-Modelle lassen generell die Unterschiedlichkeit von Lebenssituationen, Einstellungen und Perspektiven außer Acht. Diese müssen bei der Altersvorsorge aber natürlich einbezogen werden. Wichtige Beratung Genau an dieser Stelle kommt Beratung ins Spiel. Nur wenn Finanzprofis gemein- sammit ihren Kunden genau erfassen, was die individuelle Risikokapazität, Risiko- bereitschaft und die Kapitalsituation zulas- sen, können die richtigen Nudges zu guten Entscheidungen führen. Die Abfrage der persönlichen finanziel- len Situation und der Risikotragfähigkeit schreibt die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II mit der Geeignetheitsprüfung ohnehin vor. Diese einmal vorzunehmen, ein paar Nudges zu setzen und die Sache dann laufen zu lassen, reicht in der Alters- vorsorge aber meist nicht aus. Zu leicht überlegt es sich der einmal „genudgte“ Kunden später doch anders – und kündigt etwa eine abgeschlossene Fondspolice. Immer dranbleiben Bereits Richard Thaler und Cass Sun- stein, die Begründer des Nudgings, erklär- ten: „Die Effektivität von Nudging hängt von der Ausgestaltung der einzelnen Pro- gramme ab – zusätzliche Beratungsgesprä- che können unterstützen.“ Deshalb sollten Finanz- und Versicherungsvermittler ihre Kunden durch fortlaufende Gespräche begleiten. „Dabeibleiben ist die größte Herausforderung“, erklärt Monika Müller. Und Martin Weber, Seniorprofessor an der Universität Mannheim, macht auf einen anderen enormwichtigen Aspekt aufmerk- sam: „Die eigene Meinung darf nicht auf den Kunden projiziert werden“, mahnt er. Dies sollten Berater immer berücksichtigen. Kleine Nudges können sie gleich beim ersten Gespräch setzen – und zwar schon bevor es in die Details geht. „In der Vorsor- ge für den Ruhestand kommt es dabei ent- scheidend darauf an, die Brücke zum Alter Nora Stampfl, F/21 Büro für Zukunftsfragen: „Grundsätzlich sind der Ausgestaltung von Nudging keine Grenzen gesetzt.“ Monika Müller, FCM Finanz Coaching: „Ein neuer Name für die Altersvorsorge könnte helfen, junge Leute stärker für das Thema zu interessieren.“ » Die eigene Meinung darf nicht auf den Kunden projiziert werden. « Martin Weber, Universität Mannheim VERTRIEB & PRAXIS Nudging 354 fondsprofessionell.de 2/2022 FOTO: © F/21 BÜRO FÜR ZUKUNFTSFRAGEN, THOMAS SCHIFFMANN

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