FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2022

werden immer vor dem zuständigen Ge- richt am Sitz des Beklagten verhandelt.Das ist im Fall Wirecard das LG München I. „Daher werden alle Klagen, die bei ande- ren Landgerichten in der gleichen Sache erhoben worden sind, nach München wei- tergeleitet“, sagt Mattil. In die enorme Viel- zahl dieser Akten nimmt das BayObLG derzeit Einsicht, um Klagen zu identifizie- ren, die zumindest einem Feststellungsziel des Vorlagebeschlusses tatsächlich entspre- chen und ausgesetzt werden sollen. Mit dem Beschluss über die Aussetzung wird ein Kläger zwingend Beteiligter des Muster- verfahrens. Der Musterkläger Aus den ausgesetzten Verfahren muss das LG München dann einen Musterklä- ger bestimmen. „Für die Bestimmung des Musterklägers gibt es unterschiedliche Kriterien, vor allem zählt aber die Höhe des Streitwerts“, erläutert Anwalt Kühler. Da bei Tilp mittlerweile mehr als 80.000 Geschädigte registriert sind, darunter auch Schwergewichte von institutionellen Inves- toren, rechnet er seiner Kanzlei gute Chan- cen aus, den Musterkläger zu vertreten. Welche Fondsgesellschaften zu seinen Mandanten gehören, kann der Anwalt aus Gründen des Datenschutzes selbstverständ- lich nicht sagen. Auch dazu, ob er weiß, welche Häuser überhaupt Klage einge- reicht haben, möchte er sich nicht äußern. Union Investment nimmt in dieser Sache kein Blatt vor den Mund. „Wir wer- den gegen EY klagen“, teilt der genossen- schaftliche Fondsanbieter auf Anfrage von FONDS professionell mit. „Grundsätzlich sind wir als Treuhänder verpflichtet, das Geld unserer Anleger zu mehren und Schaden von ihnen abzuwenden. Daher reichen wir die Klage im Rahmen unserer treuhänderischen Pflichten ein“, erklärt ein Sprecher. Die Deka möchte zu dieser Frage aktuell keine Erklärung abgeben, Allianz Global Investors ließ die Anfrage der Redaktion unbeantwortet. Die Fondstochter der Deutschen Bank wiederum teilt mit, sie habe gegen Mitglieder des ehemaligen Vor- stands und andere Führungskräfte von Wi- recard Strafanzeige erstattet und zivilrecht- liche Ansprüche für die betroffenen Fonds geltend gemacht. „Die DWS prüft weiter- hin die Geltendmachung von Schadener- satzforderungen für ihre Fonds gegenüber anderen beteiligten Parteien, einschließlich ehemaligen Aufsichtsratsmitgliedern von Wirecard und Ernst & Young“, so eine Sprecherin. Steht der Musterkläger fest, wird er – ebenso wie der Musterbeklagte und das Aktenzeichen des Verfahrens – im Klage- » Die Richtigkeit der Geschäftsberichte und Bilanzen ist ein elemen- tarer Bestandteil des Vorlagebeschlusses. « Martin Kühler, Tilp Rechtsanwaltsgesellschaft KapMuG in Kürze: Das Wichtigste im Überblick Das Gesetz: Das Kapitalan- leger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ist in seiner ersten Fassung im August 2005 in Kraft ge- treten. Hintergrund der Einführung waren rund 16.000 gleichgelagerte Verfahren von Aktionären gegen die Deutsche Telekom. Nach verschiede- nen Änderungen gilt die Fassung des Gesetzes vom 21. Juli 2019. Die Gründe: Ein KapMuG- Verfahren kommt in Frage, wenn eine Vielzahl von An- legern Schadenersatzansprüche aufgrund von mutmaßlich falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformationen eines Unternehmens geltend macht. Klagebefugnis: Klagebefugt sind Privatanleger, institutio- nelle Anleger und Unterneh- men aller Art. Sie müssen sich von einem Anwalt vertreten lassen. Voraussetzung: Für die Be- antragung eines KapMuG- Verfahrens muss dem zustän- digen Landgericht ein erster Kläger genannt werden. Innerhalb von sechs Monaten müssen sich neun weitere Kläger mit gleichgerichteten Ansprüchen finden. Nur dann kommt die Eröffnung eines KapMuG-Ver- fahrens in Betracht. Das Verfahren: Sind alle Voraussetzungen erfüllt, kann das zuständige Landgericht per Vorlagebeschluss ein KapMuG- Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) einleiten. Das OLG bestimmt einen Musterkläger. Steht dieser fest, werden bundesweit alle weiteren Klagen mit identischem Inhalt aus- gesetzt. Das OLG prüft während des Verfahrens die im Vorlagebeschluss aufgeführten Feststellungsziele und entscheidet darüber. Das Urteil: Ergeht ein Urteil zugunsten des Musterklägers, so besagt dieses lediglich, dass die Feststellungsziele erfüllt sind. Es sagt nichts über die Höhe des Anspruchs auf Schadenersatz aus. Die unterlegene Beklagte kann allen Klägern einen Vergleich anbie- ten. Geschieht das nicht, muss jeder einzelne Kläger vor dem zuständigen Landgericht seinen individuellen Schadenersatzanspruch geltend ma- chen, was aber nicht schwierig ist. fondsprofessionell.de 2/2022 437 FOTO: © THOMAS NIEDERMUELLER | TILP RECHTSANWALTSGESELLSCHAFT

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