FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2022
scheidend ist immer die methodische In- terpretation dieser Daten zur Generierung von Investmententscheidungen“, sagt Hess. Der Mensch spielt bei Tungsten Capital weiterhin eine wichtige Rolle, nicht nur als Entwickler der KI-Modelle. Der Portfolio- manager gibt auch die Risikoparameter vor und sichtet jede Order vor der Ausführung. In den ersten acht Monaten des Jahres erzielte Hess’ Fonds entgegen dem allge- meinen Abwärtstrend ein deutliches Plus. Weniger Input, besseres Ergebnis Ein weiterer KI-Vorreiter ist der Frank- furter Vermögensverwalter Acatis. Den Anfang machte der 2017 aufgelegte globale Aktienfonds Acatis AI Global Equities. „Das System basiert auf den Fundamental- daten unserer eigenen Unternehmens- datenbank“, erklärt Acatis-Chef Hendrik Leber. „Nur einige wenige Kursdaten wer- den hinzugefügt, Makrodaten fließen gar nicht ein.“ Eine weitere Besonderheit: Der Ansatz betrachtet Unternehmenshistorien statt punktueller Daten. „Wir glauben, dass die Herkunft und die Entwicklung einer Firma eine ganz wichtige Informations- quelle ist“, betont Leber. Die Acatis-KI verknüpft die Daten mit unterschiedlichen Gewichtungen und inte- griert Aktienauswahl und Portfoliokon- struktion in einem einzigen Prozess. Offen- bar mit zunehmendem Erfolg: Der Fonds hat seine Performance in den letzten Jah- ren immer weiter verbessert. Leber erklärt das unter anderemmit der besseren Aufbe- reitung der Daten und der Reduzierung der Zahl der Input-Variablen als wichtige Faktoren. „Das einfachere Modell führte zu besseren Ergebnissen“, sagt Leber. Game over Ein spannendes Experiment – in das hie- sige Privatanleger aber kaum investieren können – stellt der 2016 aufgelegte Hedge- fonds Numerai dar, der mit KI und Block- chain gleich zwei Facetten der digitalen Welt kombiniert. Der Ansatz: In einem virtuellen Wettbewerb speisen tausende Datenwissenschaftler aus der ganzen Welt regelmäßig ihre Prognosen ins System ein. Numerai aggregiert diese zu Handelssigna- len für das Portfolio.Mit der eigenen Kryp- towährung Numeraire werden gute Pro- gnosen belohnt, wer schlechte Prognosen abgibt, verliert einen Teil seines Einsatzes. Die echten KI-Fonds am Markt bieten zwar unterschiedlichste Ansätze, doch ins- gesamt haben Privatanleger bislang nur wenige Produkte zur Auswahl. Noch liegt das aktive Fondsmanagement fest in den Händen von menschlichen Portfoliomana- gern. Doch zahlreiche große Investment- häuser investieren umfassend in Forschung und Kooperationen rund um KI. Acatis- Chef Leber erwartet, dass die Maschinen künftig den Job benchmarknaher, nicht spezialisierter Fondsmanager weitgehend übernehmen werden – und das vielleicht ohne den KI-Einsatz an die große Glocke zu hängen. Bei Spezialthemen wie Biotech, Innovationen oder jungen Firmen dürften sich die Menschen dagegen noch länger behaupten. Auch Klotz rechnet damit, dass KI das Portfoliomanagement nachhaltig verändern wird: „Ad-hoc-Meldungen muss man in Zukunft nicht mehr selbst auswer- ten, da ist die Maschine klar im Vorteil.“ Garri Kasparow verlor 1996 übrigens nur ein Spiel, die Gesamtpartie gegen Deep Blue konnte er doch noch für sich entscheiden. Als beide aber ein Jahr später wieder gegeneinander antraten, siegte bereits die Software – Game over für den Menschen. JOCHEN HÄGELE FP » In unser KI-Modell fließt täglich eine siebenstellige Zahl an Finanz- und Preisdaten ein. « Pablo Hess, Tungsten Capital MARKT & STRATEGIE Künstliche Intelligenz 120 fondsprofessionell.de 3/2022 KI-Wortschatz für Einsteiger Algorithmus: Handlungsanweisung zur schrittweisen Lösung einer Aufgabe in mehreren vorgegebenen Einzelschritten. Alternative Daten: Daten, die nicht als Ta- belle strukturiert sind und zunächst aufbereitet (strukturiert) werden müssen, wie Nachrichten und Satellitenaufnahmen. Big Data: extrem große, komplexe und schnelllebige Datenmenge, die teils schwach oder unstrukturiert ist ( » Alternative Daten). Deep Learning: Maschinenlernen, bei dem große Datenmengen auf Muster untersucht wer- den, basiert auf » künstlichen neuronalen Netz- werken. Künstliches neuronales Netzwerk: Datenpunkte werden miteinander verknüpft und Verknüpfungen unterschiedlich gewichtet; imi- tiert menschliches Lernen. NLP (Natural Language Processing): Wich- tiger Einsatzbereich von KI; zielt auf das inhalt- liche Verstehen und Interpretieren von Texten ab. Overfitting: Art der Fehlinterpretation, bei der zufällige Korrelationen für echte, wiederkeh- rende Muster gehalten werden. FOTO: © TUNGSTEN CAPITAL
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