FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2022
Und in Europa? Hätte es aus meiner Sicht ausgereicht, wenn die EZB Anfang September die Leit- zinsen um 50 statt um 75 Basispunkte angehoben hätte. Denn sollte es in diesem Tempo weitergehen, dann würde das Euro- pa unweigerlich in eine Rezession schicken in einer Zeit, in der vielen Unternehmen aufgrund der enorm gestiegenen Energie- preise ohnehin schon das Wasser bis zum Hals steht. Auch wenn jetzt versucht wird, durch das Abschöpfen von Übergewinnen und staatliche Unterstützung das Schlimms- te abzuwenden: Viele Unternehmen wer- den bereits pleite sein, noch bevor irgend- welche Hilfsgelder sie erreichen. Hinzu kommt, dass die Struktur der Inflation in Europa eine wesentlich andere ist als in den USA, was die Möglichkeiten zur Dämpfung der Preissteigerung zusätzlich erschwert. Was meinen Sie mit Struktur der Inflation? In den USA wird die Teuerungsrate zu rund einem Drittel von der Entwicklung der Preise für Energie und Lebensmittel bestimmt. In Europa sind es rund 50 Pro- zent. Leicht sichtbar wird das anhand der Kernrate der Inflation, also demWert ohne Berücksichtigung von Energie und Lebens- mitteln. In Europa liegt dieser Wert bei etwas über vier Prozent, in den USA we- sentlich höher. Das bedeutet im Umkehr- schluss: Einen aktuell in erster Linie von der Angebotsseite verursachten Preisauf- trieb kann die EZB nur sehr bedingt be- einflussen, ohne dabei die Konjunktur drastisch abzuwürgen. Spricht das insgesamt nicht alles dafür, dass Jerome Powell doch noch seinen „Volcker-Moment“ bekommen wird? Paul Volcker, der bis 1987 acht Jahre lang an der Spitze der Federal Reserve stand, hat sich durch seine rigorose Zinssteigerungs- politik zur Bekämpfung der auch damals enorm hohen Inflation gewissermaßen selbst ein Denkmal gesetzt. Eine vergleich- bare Strategie aber wird sich Jerome Powell gar nicht leisten können.Die Verschuldung ist heute sowohl bei den Privathaushalten als auch bei Unternehmen extrem viel höher als in den 1980er-Jahren. Das führt dazu, dass jedes Anheben der Zinsen zum Einbremsen der Inflation sehr viel stärker zu Buche schlägt als zu Volckers Zeiten. Warum? Wer sich in der Niedrigzinsphase hoch ver- schuldet hat, weil er sich gesagt hat, dass ihn das aufgrund der nur geringen monat- lichen Zinskosten nicht belastet, für den bedeutet eine Verdoppelung oder Verdrei- fachung der Zinsen auch, dass sich seine Aufwendungen für den Zinsdienst verdop- peln oder verdreifachen, was dann ganz schnell nicht mehr tragbar wäre.Das ist ein grundlegender Unterschied zur Situation während der Volcker-Ära, in der die Ver- schuldung bei Weitem nicht so hoch war. Was bedeutet das für den strategischen Unterbau des FMM-Fonds, den Sie seit dessen Auflage vor 35 Jahren managen? Braucht es so etwas wie eine Reform? Gleich von einer notwendigen Reformie- rung meines Modells zu sprechen, wäre übertrieben. Denn auch wenn die aktuelle Entwicklung aus den genannten Gründen eine gewissermaßen vorher noch nie gese- hene Konstellation mit sich bringt, ändert das ja nichts daran, dass die Entwicklung der Börse auch künftig im Wesentlichen vom Zusammenspiel fundamentaler, monetärer und marktechnischer Faktoren bestimmt wird. Aber in einer Zeit, in der Notenbanken eine geldpolitische Kehrt- wende vollziehen, kommt natürlich dem monetären Faktor eine geradezu heraus- ragende Bedeutung zu … … und Fundamentaldaten und Markttech- nik treten in den Hintergrund? » Wir haben es mit einer Teuerung zu tun, die ich als nicht typisch bezeichnen würde. « Jens Ehrhardt, DJE Kapital FOTO: © STEFAN GREGOROWIUS 124 fondsprofessionell.de 3/2022 MARKT & STRATEGIE Jens Ehrhardt | DJE Kapital
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