FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 3/2022

nur sehr wenig Erfahrung mit Wertpapie- ren hatten“, so Munnikhof. Die Niederländerin, die den neuen Bereich mit aufgebaut hat, möchte auch mehr Frauen für die Wertpapieranlage be- geistern und als Kundinnen gewinnen. Sie legt deshalb viel Wert auf weibliches Perso- nal, wobei dies nicht einfach zu rekrutieren ist.Der überwiegende Teil der ING-Berater, deren Zahl jüngst von zehn auf 30 aufge- stockt wurde, ist nach wie vor männlich – wie bei den anderen Banken auch. Unklare Zielgruppe Gründe, warum die Wertpapierberatung beim hiesigen ING-Ableger noch nicht so richtig ins Laufen gekommen ist, gibt es einige. „Das Problem für die ING ist die Zielgruppe, die bislang nicht klar erkenn- bar ist. Die ING wird als erfolgreiche Direktbank wahrgenommen – nicht als Experte für die Wertpapieranlage“, sagt Klaus Fleischer, der an der Hochschule München Bank- und Finanzwirtschaft lehrte. „Neue Wertpapiereinsteiger, als ur- sprüngliche Zielgruppe der ING, sind meist junge, smartphoneaffine Anleger, die es eher zu Neobanken und -brokern zieht. Offensichtlich funktioniert hier das alte ING-Diba-Wachstumsmodell, durch seiner- zeit günstige Einlagenzinsen neue Kunden für das Retailgeschäft zu gewinnen, nicht.“ Außerdem fehle es an Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, so der emeritierte Professor. Das Angebot werde von mögli- chen Interessenten kaumwahrgenommen. Der Wissenschaftler verweist jedoch auch auf das schwierige Marktumfeld: Corona, Ukrainekrieg und Inflation lasten auf Kur- sen und Stimmung. „Die Haushalte sparen entsprechend mehr und sind risikoscheuer geworden, außerdem haben die Existenz- sorgen zugenommen“, sagt Fleischer. Das stark eingetrübte Umfeld wirke sich gene- rell auf die Entwicklung des Anlagesektors aus.Hinzu kämen aggressive Marktauftritte neuer Wettbewerber, darunter Neobanken, Neobroker und Robo-Advisors. Der Betriebswirtschaftler zweifelt zudem daran, dass die Kooperation mit dem digi- talen Vermögensverwalter Scalable vorteil- haft für die ING ist. Das Münchner Fin- tech gab Mitte August bekannt, mehr als zehn Milliarden Euro zu verwalten. Ein guter Teil davon stammt von den ING- Kunden: Ende 2021 waren es schon 1,6 Milliarden Euro – ein Vielfaches der gut 140 Millionen Euro, die die INGmit ihren Anlagecoaches einwerben konnte. „Ver- mögende ING-Stammkunden wandern bestenfalls zu Scalable ab oder wechseln zur Konkurrenz, beispielsweise zu Neo- oder Onlinebrokern“, erklärt Fleischer. „Ich sehe einen Kannibalismuseffekt zu- lasten der ING. Im Nachhinein erweist sich der Weg der Partnerschaft zu Scalable offensichtlich als Nachteil“, mutmaßt der Branchenkenner. Er rät der Direktbank zum strategischen Umdenken. „Eine kon- zerninterne Einbindung eines Robo-Advi- sors – Eigenentwicklung oder Kauf – scheint strategisch der erfolgreichere Weg zu sein“, sagt Fleischer und verweist auf Bei- spiele wie Robin (Deutsche Bank),Quirion (Quirin) und Cominvest (Comdirect). Erfolglose Versuche Dass ein Einstieg in die Wertpapierbera- tung für Direktbanken nicht einfach ist, zeigt auch das Beispiel Consorsbank. Die Direktbank stellte Ende 2020 ihre Angebo- te „Vermögensberatung“ und „Vermögens- beratung extra“ ein. Vermögende Kunden überführte man ins Wealth Management der Mutter BNP Paribas, kleinere Vermö- gen wurden ausgesteuert. Die Commerzbank-Tochter Comdirect, mittlerweile als Marke im Mutterkonzern aufgegangen, stellte ihre „Anlageberatung plus“ schon 2017 ein.Das Projekt war nicht von Erfolg gekrönt, in rund fünf Jahren wurden lediglich 3.000 Kunden generiert. Im gleichen Jahr startete der Robo-Advisor Cominvest – durchaus erfolgreich, knackte er Anfang 2022 doch die Marke von einer Milliarde Euro an verwaltetem Vermögen. Halbherziger Start Die ING geht das Thema Anlagebera- tung offensichtlich nur mit halbem Her- zen an. Bei über 6.000 Beschäftigten allein in Deutschland spiegeln die lediglich 30 Anlageberater die Bedeutung des neuen Geschäftsfelds im Konzern wider. Es sei auch nicht geplant, die Zahl der Coaches zu erhöhen, so die Bank. Zudem wird der neue Service kaum vermarktet. Die Bank scheint sich mit ihrem Brot- und-Butter-Geschäft wohlzufühlen. Dazu passt, dass Vorstandschef Nick Jue als einer der ersten deutschen Bankenvertreter bereits im Frühjahr das Ende des Verwahr- entgelts ankündigte, sobald sich die EZB vom Minuszins verabschiedet. Seit August bietet die Bank sogar wieder Sparbriefe mit bis zu 1,5 Prozent Verzinsung an. Ein Grund weniger für Sparer, zu Anlegern zu werden. MARCUS HIPPLER FP » Immer mehr Kunden investieren, die bisher noch keine oder nur sehr wenig Erfahrung mit Wertpapieren hatten. « Ilse Munnikhof, ING Deutschland BANK & FONDS Anlageberatung 416 fondsprofessionell.de 3/2022 FOTO: © FRITZ PHILIPP | ING DEUTSCHLAND

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