FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2022

zum Jahr 2080. Dann machen Sie sich Gedanken, dass Sie auch länger als bis zum Jahr 2080 leben könnten. In dem Fall gehen Sie zu einer Lebensversicherungs- gesellschaft und tauschen Ihre Selfies gegen eine Leibrente ein. Dasmacht die Lebensversicherungsgesell- schaft? Ja! Dass ich 22 Jahre gewählt habe, hat nämlich folgenden Hintergrund: Nehmen wir an, Ihre durchschnittliche restliche Le- benserwartung beträgt 20 Jahre, wenn Sie das Alter 65 erreicht haben. Das liest die Lebensversicherungsgesellschaft aus den of- fiziellen Sterbetafeln ab. Die Versicherungs- gesellschaften haben natürlich Kosten. Da- her habe ich zu den 20 Jahren, die der durchschnittlichen restlichen Lebenserwar- tung entsprechen, noch zwei Jahre hinzu- gefügt. Die Periode der Auszahlungen der Selfies ist daher so zu wählen, dass sie der durchschnittlichen Lebenserwartung plus den Kosten für die Lebensversicherung ent- spricht, die den Umtausch machen soll. Gibt es zu den 22 Jahren Auszahlungsdau- er Alternativen, also andere Denkmodelle? Alternativ könnten Sie auch einen Auszah- lungszeitraum von, sagen wir, 50 Jahren an- nehmen, wenn Sie mit 65 in Rente gehen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie am Ende Ihres Lebens ohne Auszahlungen dastehen, extrem gering. Aber das wäre Ver- schwendung. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach Ihrem Ableben noch Zahlungen aus- stehen, wäre extrem hoch. Ein Selfie zu kreieren, das 50 Jahre lang auszahlt, wäre also ineffizient. Ich wollte es so designen, dass Sie Ihren Selfie-Bond eintauschen können gegen eine Annuität, die Ihnen genau dieselbe Rente zahlt wie der Selfie- Bond. Sie geben Ihre Selfies, die Ihnen 50.000 Euro für die nächsten 22 Jahre aus- zahlen würden, der Lebensversicherung. Diese gibt Ihnen dafür eine Leibrente, die Ihnen für den Rest Ihres Lebens 50.000 Euro pro Jahr ausbezahlt. Da ist keine Magie dahinter, und es werden auch keine Geschenke verteilt. Sie zahlen dafür mit Ihrem Selfie. Versicherer können nämlich eines sehr gut: Risiken nehmen, die für den Einzelnen sehr hoch sind, und sie verge- meinschaften. Versicherer nutzen hier das Gesetz der großen Zahlen. Für das Indi- viduum ist das Risiko der Langlebigkeit enorm. Eine Versicherungsgesellschaft hingegen kann die durchschnittliche Lebenserwartung zugrunde legen, weil sie viele Risiken zusammenfasst. Besteht da nicht eine Informationsasym- metrie? Was ist, wenn eine Person weiß, dass sie krank ist, und vermutlich nicht mehr 22 Jahre lang leben wird? Das ist kein Problem.Wenn Sie 65 Jahre alt sind, haben Sie ein viel besseres Bild von Ihrer persönlichen Gesundheit und Ihrer Lebenserwartung, als wenn Sie erst 30 oder 40 Jahre alt sind. Aber Sie haben ja die Wahl: Wenn Sie glauben, dass Sie nicht mehr sehr lange leben, tauschen Sie Ihre Selfies nicht gegen eine Leibrente ein. Wenn Sie dann vielleicht schon fünf Jahre nach IhremRenteneintritt versterben, dann erhalten Ihre Erben noch die restlichen Zahlungen aus Ihren Selfies, bis die 22 Jahre verstrichen sind. Das klingt sehr einfach. Der grundlegende Gedanke ist, das System so einfach und so transparent wie möglich zu gestalten. Das schützt Sie zwar nicht davor, dass Sie eine falsche Entscheidung treffen; aber alle Dinge, die Sie für Ihre Entscheidung wissen müssen, sind Ihnen bekannt: Sie wissen, von welchem Betrag Sie derzeit leben, dann können Sie sich ausrechnen, wie viele Selfies Sie benötigen. Werden die Selfies der Inflation oder einem Index angepasst? » Sie können Ihren Selfie-Bond gegen eine Annuität eintauschen, die Ihnen genau dieselbe Rente zahlt. « Robert Merton, MIT Sloan School FOTO: © CHRISTIAN FLEMMING FONDS & VERSICHERUNG Robert Merton | MIT Sloan School of Management 260 fondsprofessionell.de 4/2022

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