FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 4/2022
Vermögenswerten die Verbindlichkeiten, die versicherungstechnischen Rückstellun- gen also, abgezogen. Aus der Differenz er- geben sich die aktuell verfügbaren Eigen- mittel des Versicherers. „Diese unterziehen wir dann einer Viel- zahl von Krisenszenarien“, erläutert René Romero-Bastil, der bei der Alten Leipziger für die Berechnung die Solvenzquoten ver- antwortlich ist. Die Szenarien sind im Re- gelwerk von Solvency II definiert und stel- len für jedes zu messende Risiko eine Art Super-GAU dar, dessen Eintritt statistisch nur einmal in 200 Jahren zu erwarten ist. Kritisches Zinsänderungsrisiko „Für Lebensversicherer ist das Zinsände- rungsrisiko natürlich besonders relevant“, sagt Romero-Bastil. Einerseits würde ein starker Zinsanstieg die Kurse der langfristi- gen Papiere in den Kapitalanlagen auf Tal- fahrt schicken und damit die Eigenmittel verringern. Andererseits würde ein solcher Anstieg aber die versicherungstechnischen Rückstellungen verringern. „Dieser Trend setzte bereits 2021 ein, wenn auch noch in geringem Ausmaß“, sagt Heermann. Natürlich kommt es darauf an, welcher Effekt bei einem Zinsanstieg überwiegt – die Abnahme der Eigenmittel oder die Reduzierung der versicherungstechnischen Rückstellungen. „Wir prüfen anhand von Simulationen immer, dass unsere Eigenmit- tel hoch genug sind, damit wir auch im Falle größerer Zinsveränderungen allen Verpflichtungen gegenüber unseren Kun- den nachkommen könnten“, berichtet Ro- mero-Bastil. Auch weitere Krisenfälle werden durch- gespielt. Untersucht wird etwa, was ge- schieht, wenn Menschen im Schnitt zehn René Romero-Bastil, Alte Leipziger: „Wir unter- ziehen unsere errechneten Eigenmittel in Szenarien einer Vielzahl von Krisenfällen.“ Lars Heermann, Assekurata: „Die Schlussfolge- rung, die Versicherer hätten ihre Hausaufgaben gemacht, ist nur die eine Seite der Medaille.“ Übergangsregelungen: Diese Transitionals nutzen deutsche Versicherer Übergang: Solvency II vereinheitlicht die Re- geln für Versicherer in 28 EU-Mitgliedsländern mit unterschiedlichen Märkten. Da es für die Unter- nehmen schwierig ist, allen neuen Vorschriften nachzukommen, hat der europäische Gesetzgeber verschiedene Übergangsregelungen, sogenannte Transitionals, eingeräumt. Diese Maßnahmen dür- fen alle Versicherer in der Europäischen Union nutzen, je nach Markt und Geschäftsmodell neh- men die Unternehmen in den Ländern jedoch unterschiedliche Transitionals in Anspruch. Transitional für Rückstellungen: Für die deutschen Lebensversicherer, die ihren Kunden traditionell langfristige Garantien geben, ist die wohl wichtigste Übergangsmaßnahme das Tran- sitional für versicherungstechnische Rückstel- lungen. Unter Solvency II müssen Versicherer ihre Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten zu Markt- zinsen bewerten. Um die erforderlichen Rück- stellungen für bestehende langfristige Verbind- lichkeiten berechnen zu können, müssen die künftigen Zinsen abgeschätzt werden. Dafür sieht Solvency II eine Zinsstrukturkurve vor. Diese Zins- kurve und die geänderte Methodik zur Bewertung der Rückstellungen müssen die Versicherer jedoch nicht zwingend anwenden. Stattdessen dürfen sie Deckungsrückstellungen weiterhin auf Basis des nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) geltenden höheren Rechnungszinses diskontieren. Damit drücken sie auf dem Papier ihre Deckungs- rückstellungen und hübschen ihre tatsächliche Solvenzquote auf. Zeit für Anpassungen: Die Übergangs- maßnahmen dürfen bis zum Jahr 2032 genutzt werden. Fallen Deckungsrückstellungen durch die Diskontierung nach HGB niedriger aus, so haben die Versicherer bis dahin Zeit, schrittweise die nötigen Eigenmittel aufzubauen, um die Lücke zu schließen. Seit dem Start von Solvency II 2016 müssen sie in diesem Fall jedes Jahr ein Sech- zehntel der Mittel erbringen. Volatilitätsanpassung: Während der euro- päischen Schuldenkrise ist es in verschiedenen Ländern immer wieder zu starken Abwertungen von Anleihen und hohen Risikoaufschlägen ge- kommen. Kurzfristig gestörte Märkte würden Rückstellungen für langfristige Verpflichtungen aber stark schwanken lassen, wenn Versicherer das Solvency-II-Modell verwenden. Um diese kurzfristigen Schwankungen zu dämpfen, können die Versicherer eine von der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA angepasste Zinskurve anwenden, wenn sie dies bei der Finanzaufsicht Bafin beantragen. fondsprofessionell.de 4/2022 273 FOTO: © ALTE LEIPZIGER, GUIDO SCHIEFER | ASSEKURATA
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