FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2023
blematisch waren die Entscheidungen der EZB ab Januar, ab da hätte man schneller umschalten müssen, weil deutlich wurde, dass eine andere In ationsdynamik herrscht, die auch nicht auf den Ukrainekrieg zu- rückzuführen war. Der Krieg war nur ein Beschleuniger? Ja. Welche Rolle spielte dabei die Rücksicht- nahme auf hoch verschuldete südeuropäi- sche Staaten? Das hat natürlich immer eine Rolle ge- spielt. Das ist vielleicht der zweite Aspekt, den man ganz unabhängig von der aktuel- len In ationsdynamik kritisieren kann. Wenn man die Politik der EZB an den üblichen Regeln wie etwa der Taylor-Regel (Anm.: formelbasierte Vorgabe für die Geldpo- litik nach dem US-Ökonomen John B. Taylor) misst, zeigt sich, dass sie – gemessen an der Lage 2021 – schlicht zu expansiv war. Da spielte die Sorge um die hoch verschulde- ten EU-Staaten eine große Rolle. Das war vor allem bei der Grundausrichtung der Geldpolitik von Bedeutung. Wenn man sich ansieht, wo die Diskussionslinien im EZB-Rat verlaufen, dann ist das leider immer noch an der Nord-Süd-Grenze. Aus Italien und Spanien kommen leider in erster Linie Forderungen nach einer eher laxen Geldpolitik und umgekehrt. Wie ist die bekannte These zu beurteilen, wonach die EZB die Zinsen gar nicht anheben könne, weil sonst einige EU- Staaten pleite wären? Und wie sind die Antifragmentierungsmaßnahmen der EZB – also neuerliche Anleihenkäufe – zu be- werten? Wir sehen ja, dass mit der Umstrukturie- rung des Portfolios begonnen wurde. Es ist aber richtig, dass die EZB hier teilweise Fiskalpolitik betreibt. Durch diese Um- strukturierung und vor allem durch dieses Instrument der Antifragmentierungsmaß- nahmen gibt es imGrunde ein Bail-out für die Länder, die unterstützt werden. Ich habe dieses Antifragmentierungsinstru- ment selbst schon einmal als toxisch bezeichnet. Wenn man es aus der Perspek- tive grundlegender Governance-Fragen be- trachtet, dann muss man sagen, dass die Politik in den hoch verschuldeten Ländern zunächst einmal von den Märkten abge- schottet wurde – etwa durch den ESM, diverse Rettungspakete und die EZB-Anlei- henkäufe. In der Eurokrise war das aber wenigstens noch mit einer verstärkten politischen Inp ichtnahme verbunden, das OMT-Programm wollte ja Stützungen einzelner Länder mit einem ESM-Pro- gramm verbinden. Jetzt ist man aber einen nächsten Schritt gegangen, indem man sie nicht nur von den Märkten abgeschottet, sondern auch aus der politischen Ver- p ichtung entlassen und eine Art Freifahrt- schein ausgestellt hat. Das widerspricht eklatant allen Regeln guter Governance. Wozu sollen denn diese Länder verp ichtet werden, wenn weder von den Märkten noch von der Politik irgendein Druck in diese Richtung gemacht wird? Wie sollte eine Regierung ihrer Bevölkerung unpo- puläre Maßnahmen zumuten? Man muss sehen, wie sich das entwickelt, aber das Signal ist verheerend. » Ich habe dieses Antifragmentierungs- instrument selbst schon einmal als toxisch bezeichnet. « Clemens Fuest, Ifo Institut FOTO: © MATTHIAS KATZMAIR fondsprofessionell.de 1/2023 167
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