FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2023
Ein Thema, das uns seit Jahren beschäftigt, ist die EZB-Bilanz. Aufgrund der Pandemie wurde sie noch einmal dramatisch aus- geweitet. Droht eine neue Eurokrise? Zuerst haben wir einmal eine gewisse Ent- spannung aufgrund der In ationierung der Staatsschulden, die die hoch verschul- deten Staaten entlastet. Zudem sind die Zinsen immer noch relativ niedrig, daher erwarte ich keine Vertrauenskrise an den Märkten. Es sei denn, die Zinsen würden so drastisch erhöht werden, dass die Märkte sich zurückziehen. Es hat aber so viele politische Signale gegeben – wie eben auch das Antifragmentierungsinstrument –, dass ein kurzfristiger Vertrauensverlust bei den Staats nanzen unwahrscheinlich ist.Durch- aus kritischer ist die Lage bei den Banken, wie wir an der Credit-Suisse-Krise sehen. Wie ist die Situation im Energiebereich zu sehen, die nicht nur die Inflation treibt, sondern auch die Produktion bremst? Man kann ja auf der einen Seite sagen, dass die Verknappung des Gasangebots die Bewegung weg von fossilen Energien be- schleunigen kann. Das Problem besteht aber darin, dass geplant war, dass wir zuerst aus Kernkraft und Kohle raus und ins Gas hineingehen.Was wir derzeit sehen, ist eine Verdrängung in Richtung Kohle und zwar nicht nur in Europa, sondern weltweit. In dem Maße, in dem wir die LNG-Märkte leerkaufen, steigen andere Länder auf Koh- le um. Die Gasverknappung ist unter den Verknappungen der Energieträger die für das Klima schlechteste. Eine Möglichkeit wäre, imÜbergang wieder auf andere Ener- gieträger zu setzen, aber etwa bei der Kern- energie wurde politisch entschieden, dass das nicht passiert. Auf einer grundlegende- ren Ebene stellt sich die Frage, wie wir den Übergang gestalten.Man könnte natürlich bei Gas bleiben, was hieße, dass in Europa der Gas-Wasserstoff-Austausch kommt. Das wird sehr teuer, und ich denke, im Moment haben wir noch keine Investoren, die bereit sind, ein wasserstofffähiges Gas- kraftwerk zu bauen.Der Staat wird das mit sehr viel Geld subventionieren müssen. Und wir wissen, dass das sehr lang dauern wird. Die Frage ist daher: Wollen wir diesen Übergang wirklich so gestalten? Bräuchte es dafür nicht auch eine verbind- liche politische Entscheidung? Es gibt ja auch technische Bedenken. Das ist richtig. Das ist die wirklich wichtige Grundsatzfrage. Wenn ich mir nun die deutsche – und wenn ich es richtig verste- he auch die österreichische – Energiepolitik ansehe, besteht ja der Plan, vollständig auf erneuerbare Energieträger und grünen Wasserstoff umzusteigen. Da stellt sich die Frage: Ist das überhaupt realistisch? Die Vision sieht ja so aus, dass wir künftig eine energiepolitische Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten eingehen oder mit Ländern wie Neuseeland und Australien. Aus diesen Ländern transportieren wir dann den Wasserstoff nach Deutschland – ob das realistisch und bezahlbar ist, ist frag- lich.Das hat ein wenig den Charakter einer Utopie. Es ist zwar eine sehr schöne Utopie, aber ob das jemals klappt, ist offen. Wie realistisch ist es, dass der Ausbau der Windenergie wie erhofft funktioniert? Wir sehen ja derzeit, wie schwer der Neu- bau von Windrädern angesichts langwie- riger Genehmigungverfahren und des Widerstands der lokalen Bevölkerung ist. Alle realistischen Szenarien gehen davon aus, dass der Stromverbrauch stark ansteigt. In Szenarien bis 2030 erhöht sich der deut- sche Stromverbrauch um ein Viertel.Gleich- zeitig wollen wir Kernkraft und Kohle – das sind 40 Prozent unserer heutigen Stromproduktion – abstellen. Das heißt, wir müssen innerhalb von fünf Jahren unsere sonst vorhandenen Kapazitäten ver- doppeln. Das ist kaum möglich und wirft über 2030 hinaus Fragen auf. Allein die Elektri zierung der chemischen Industrie in Deutschland, so wie sie heute ist, würde 600 Terawattstunden benötigen. Das passt hinten und vorn nicht zusammen. Es drängt sich die Frage auf: Was ist die Alternative? Es wäre meines Erachtens klüger, zumin- dest die bestehenden Kernkraftwerke wei- » Die Zinsen sind immer noch relativ niedrig, daher erwarte ich keine Vertrauenskrise an den Märkten. « Clemens Fuest, Ifo Institut FOTO: © MATTHIAS KATZMAIR MARKT & STRATEGIE Clemens Fuest | Ifo Institut 168 fondsprofessionell.de 1/2023
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