FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2023

ter zu betreiben. Dass man sich politisch dagegen entschieden hat, bedeutet, dass man länger Kohle einsetzt. Vielleicht kann ein Ausweg tatsächlich darin bestehen, Carbon Capture zu versuchen. Es gibt ja Capture- und Storage-Technologien, mit denen man im Prinzip auch Kohlekraft- werke klimaneutraler betreiben kann. Das Problem besteht auch hier darin, dass das alles sehr teuer ist und die Technologien noch nicht so richtig ausgereift sind. Also egal, wie man es dreht und wendet: Energie wird noch mal teuer? Alles andere wäre eine große Überraschung. Das heißt, die Politik hat inWahrheit keinen Plan, wie sie ihre Ziele erreichen kann. Die Politik hat der Bevölkerung verkauft, dass sei alles eine Art Selbstläufer, manche behaupten ja sogar, das Ganze würde das Wachstum erhöhen. Die Hoffnung, dass von Seiten der Tech- nologie demnächst Lösungen kommen, scheint auchwenig Berechtigung zu haben. Leider, man muss ja nur sehen, dass etwa die Wasserstofftechnologie keine neue Technik ist.Daran wird schon sehr lang ge- arbeitet, und man stößt immer wieder auf Probleme. Natürlich muss man das trotz- dem weiter vorantreiben, aber das ist ein sehr zäher Prozess. Entscheidend wäre aber ohnedies – und das ist auch bekannt –, dass wir Techniken entwickeln, die auch im Ausland eingesetzt werden, nicht pri- mär, weil sie das Klima schützen, sondern weil sie günstig sind. Andere Länder haben andere Prioritäten. Das ist eigentlich der einzige Beitrag, den Europa zum Klima- wandel wirklich leisten kann, dass man zur Entwicklung dieser Technologien beiträgt, die dann international ausgerollt und ein- gesetzt werden. Darauf müsste man mehr Energie verwenden als auf das Senken un- serer eigenen CO 2 -Emissionen. Warum passiert das nicht? In der Politik besteht die Neigung, sich von komplexen Problemen wie dem globalen Klimawandel, die man selbst nicht beherr- schen kann, abzuwenden und sich weniger relevanten und – ich sage vorsichtig – eher beherrschbaren Problemen zuzuwenden. Der wohl größte Fehler, den wir in Europa in diesem Transformationsprozess machen, besteht aber darin, dass wir zuerst alte Ener- giequellen abschalten und erst danach er- proben, ob neue funktionieren.Man müss- te es umgekehrt machen. Zumal Deutschlands Beitrag zu den globa- len CO 2 -Emissionen gering ist. Selbst wenn man das auf null senkt, hätte es wenig Auswirkungen. Selbst wenn die ganze EU ihre Emissionen auf null senken würde, wäre das binnen weniger Jahre durch höhere Emissionen anderer Länder ausgeglichen. Genau darum lautet die wichtigere Frage: Was leisten wir an Beiträgen zur Verfügbarkeit von Technologien, die es für andere inter- essant machen, weniger fossile Brennstoffe einzusetzen? Wie ist in diesemZusammenhang das The- ma Deindustrialisierung bei uns zu sehen? Sie verschlimmert die Situation, wenn die Produktion in Länder verlagert wird, die laxere Umweltstandards aufweisen. Trotzdem findet Deindustrialisierung be- reits statt. Sie selbst haben vor Kurzemauf die Rückgänge in der deutschen Autoindus- trie hingewiesen.Wie ernst ist das Thema? Wir erleben, dass die wichtigste Industrie Deutschlands, die Automobilindustrie, schrumpft und damit natürlich auch viele Zulieferer Probleme bekommen. Struktur- wandel ist ja grundsätzlich keine schlechte Sache, aktuell sehen wir aber, dass wir sehr viel schließen, parallel dazu aber nur wenig eröffnen. Darin liegt vielleicht unsere größ- te Schwäche. Europa nimmt ja für sich Anspruch, bei sauberen Technologien welt- weit führend zu sein, aber das Unterneh- men, das beispielsweise den Elektroauto- markt ammeisten durcheinandergewirbelt hat, kommt aus den USA. » Es wäre meines Erachtens klüger, zumindest die bestehen- den Kernkraftwerke weiter zu betreiben. « Clemens Fuest, Ifo Institut FOTO: © MATTHIAS KATZMAIR MARKT & STRATEGIE Clemens Fuest | Ifo Institut 170 fondsprofessionell.de 1/2023

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