FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 1/2023

Wobei auch die traditionellen US-Auto- hersteller die Entwicklung verschlafen haben. Das ist richtig, trotzdemmuss man sich die Frage stellen, was nachkommt, wenn die Industrie abwandert. Denn wenn nichts an ihre Stelle tritt, hat man ein Problem. Warum kommt nichts nach? Weil man dafür auch die Bedingungen schaffen muss. Wir haben wohl zu wenig dafür getan.Wenn man sich den Kapitalmarkt Europas ansieht, ist das Einzige, was wir geschafft haben, der Brexit, wodurch wir den Hauptkapi- talmarkt von der EU abgeschnitten haben. Heißt das nicht, dass man als Investor sei- ne Deutschland- beziehungsweise Europa- gewichtung auf längere Sicht verringern müsste? Derzeit spricht leider alles eher dafür, die größeren Entwicklungen eher in den USA oder in Asien zu erwarten. An der Stelle muss man aber auch die Frage danach stellen, was schon eingepreist ist. Einiges, der Euro Stoxx hinkt dem MSCI- Weltindex oder demUS-Leitindex S&P 500 über die letzten zehn Jahre massiv hin- terher. Eben. Deshalb können Investitionen in Europa durchaus interessant sein. Wie groß wäre das Problem für Europa beziehungsweise Deutschland, wenn sich die Handelsbeziehungen zu China deutlich verschlechtern? Die geäußerte Befürchtung, Deutschland habe sich vollständig von China abhängig gemacht, ist übertrieben.Der Außenhandel mit China macht nur etwa zehn Prozent aus. Käme es zu Problemen, etwa weil Chi- na in Taiwan einmarschiert und Sanktio- nen verhängt werden, würde das allerdings indirekt auch andere Handelsbeziehungen beeinträchtigen. Generell kann man trotz- dem sagen, dass der deutsche Außenhandel auf der Export- und auf der Importseite schon ziemlich diversi ziert ist. Außerdem bestehen die Abhängigkeiten in beide Richtungen. Das ist zwar richtig, aber der Fall Russland hat uns gezeigt, dass es Diktaturen leichter fällt als Demokratien, solche Abhängig- keiten zu ignorieren und die Kosten hinzu- nehmen. Für uns ist wichtig, wirtschaftli- che Abhängigkeiten genau zu analysieren. Sie entstehen ja nicht durch Handel per se, sondern etwa dann, wenn man im Export hohe Margen erzielt; bei Importen ist man abhängig, wenn man die Lieferungen nicht ersetzen kann. Was wäre das? Am Ifo Institut wurde untersucht, welche Rohstoffe kritisch sind – das heißt bei hoher Zuliefererkonzentration für Schlüs- seltechnologien unverzichtbar. Wir haben dabei neun kritische Rohstoffe gefunden, wozu auch seltene Erden zählen. Hier spielt China eine wichtige Rolle, Deutschland könnte hier stärker diversi zieren. Auch bei Investitionen muss man über Abhängigkeiten nach- denken. Es gab die Debatte über den Hamburger Hafenterminal oder auch über Huawei, und ich denke, da wird sehr ober ächlich argumentiert. Wenn ein chinesisches Unternehmen einen Hafenterminal kauft, stellt sich die Frage, wer da von wem abhängig ist. China gibt viel Geld aus, und dieses Geld ist ja wie eine Geisel, sofern der Hafen im Krisenfall enteignet werden könnte. Schwieriger ist es bei Kommuni- kationsinfrastruktur, wie sie von Huawei bereits gestellt wird. Da stellt sich die Frage, ob deutsche Behörden immer überblicken können, was da genau passiert. Wäre es klug, die Abhängigkeit von China zu verringern? Es wäre falsch, sich jetzt Hals über Kopf aus China zurückzuziehen, wie dies man- che wollen. Für mich wäre das so etwas wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Man muss sich allerdings so aufstellen, dass man einen Kon ikt aushält. Vielleicht ist die Problematik im Energiebereich infolge des Ukrainekriegs hier als Weckruf zu ver- stehen, der uns noch rechtzeitig ereilt hat. Ein Einmarsch in Taiwan hätte uns wohl vor noch größere Probleme gestellt. Wir bedanken uns für das Gespräch. GERHARD FÜHRING FP KURZ-VITA: Clemens Fuest Clemens Fuest (54) ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und seit 2016 Präsident des Ifo Instituts. Davor war er Professor für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford. Er ist unter anderem im wissenschaftlichen Beirat des deutschen Finanzministeriums tätig. Gemäß der Reihung der „Frank- furter Allgemeinen Zeitung“ ist er einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands, laut Ideas/RePEc zählt er auch weltweit zu den Top-10-Prozent der Ökonomen. » Die geäußerte Befürch- tung, Deutschland habe sich vollständig von China abhängig gemacht, ist übertrieben. « Clemens Fuest, Ifo Institut FOTO: © MATTHIAS KATZMAIR MARKT & STRATEGIE Clemens Fuest | Ifo Institut 172 fondsprofessionell.de 1/2023

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