FONDS professionell Deutschland, Ausgabe 2/2023

Richtiger Zeitpunkt für Vollmachtserteilung wichtig OLG München, 5. 6. 09, Az. 33 Wx 278 279/08 Eine Vollmacht ist nur gültig, wenn der Vollmachtgeber bei freiem Wil- len und im Zustand der Geschäfts- fähigkeit war – also bei klarem Verstand. „Daher ist es wichtig, die Vollmacht zu ei- nem Zeitpunkt zu erstellen, zu dem keine Zweifel an der Geschäftsfähigkeit bestehen“, mahnt Uhlig. Das war hier der Streitpunkt. Eine demente Frau und ihre zwei Kinder stritten, ob die Frau zum Zeitpunkt der Ausstellung einer Vorsorgevollmacht für die Tochter geschäftsfähig war. Denn mit dieser Vollmacht wurde eine ältere, die so- wohl für die Tochter als auch für den Sohn galt, ungültig – was er anfocht. Das OLG entschied, dass die zuletzt erteilte Vollmacht gültig ist: „Die Diagnose einer fortschrei- tenden Demenz steht der Wirksamkeit einer früher erteilten notariellen Vorsorge- vollmacht nicht entgegen, solange nicht die Geschäftsunfähigkeit des Betro enen be- reits zumZeitpunkt der Beurkundung hin- reichend sicher feststeht. (…) Ist eine später erteilte Vollmacht nicht aufzuklärenden Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit ausge- setzt, kann nicht ohne Weiteres eine inhalt- lich abweichende frühere, unzweifelhaft wirksame Vollmacht als zur Betreuungsver- meidung geeignet beurteilt werden.“ Sterbehilfe durch Unterlassung kann gerechtfertigt sein BGH, 25. 6. 2010, Az. 2 StR 454/09 Eine Familie kämpfte dafür, dass die im Koma liegende Mutter sterben durfte. Die Frau hatte ihren Kindern gesagt, sie wolle in Würde sterben. Schließ- lich schnitt die Tochter auf Anraten ihres Anwalts den Schlauch der Magensonde durch. Der Anwalt wurde wegen Tot- schlags verurteilt, der BGH hob das Urteil auf. „Nicht das Unterlassen der Fortsetzung, sondern die Fortsetzung der medizinischen Lebenserhaltung muss gerechtfertigt sein. Ist eine Patientenverfügung einschlägig und verbietet die Fortsetzung einmal be- gonnener lebenserhaltender Maßnahmen, müssen diese beendet werden“, kommen- tiert Anwältin Tanja Unger. Inhalt von Patientenverfügungen muss klar und hinreichend sein BGH, 6. 7. 2016, Az. XII ZB 61/16 In dem Beschluss, den alle drei Juris- ten als wichtig einstufen, äußerte sich der BGH zu Anforderungen, die eine Vorsorgevollmacht und eine Pa- tientenverfügung bezüglich des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen erfüllen » Der von einem Betroffenen in den Vorsorgevollmachten gewählte Betreuer ist zu bestimmen. « Simone Uhlig, Rechtsanwaltskanzlei 4L Legal Ethische Grundsatzfrage: „Sterbehilfeurteil“ Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen berühren auch ethische Grundsatzfragen. Eine sol- che beantwortete das Bundesverfassungsgericht in einem nach Expertenmeinung historischen Urteil vom 26. Februar 2020 (Az. 2 BvR 2347/15): Menschen haben ein Recht auf Selbsttötung. Sachverhalt: Der Bundestag hat am 3. De- zember 2015 per Gesetz die „geschäftsmä- ßige Sterbehilfe“ verboten. Der neu geschaffene Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs (StGB) stellte diese unter Strafe. „Geschäftsmäßig“ meinte aber nicht notwendigerweise kommerziell. Eine Ge- schäftsmäßigkeit wurde schon angenommen, wenn wiederholt Sterbehilfe geleistet wird. Auf ökonomische Interessen oder gar Profitmaximie- rung kam es nicht an. Gegen diesen Paragrafen 217 StGB haben dann Sterbewillige, Ärzte sowie Vereine, die Suizidhilfe anbieten, Verfassungs- beschwerde erhoben. Entscheidung: Das Bundesverfassungs- gericht hob diesen Paragrafen mit sofortiger Wirkung als verfassungswidrig auf. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz auch ein Recht auf selbst- bestimmtes Sterben einschließt. „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. (…) Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“, lauten die Leitsätze. Fazit: Nach Ansicht von Tanja Unger, Rechts- anwältin bei der Münchner Kanzlei Putz Sessel Soukup Steldinger für Medizinrecht, hat das Gericht damit den Schutz der Würde und des Selbstbestimmungsrechts herausgestellt. „Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben gilt uneingeschränkt für alle Lebenssituationen und ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt“, so Unger. Für die Praxis und damit auch bei Patientenver- fügungen bedeute das, „dass jeder in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts Behandlungs- verbote ohne Rücksicht auf Art oder Stadium einer Erkrankung verbindlich festlegen kann“. fondsprofessionell.de 2/2023 333 FOTO: © SIMONE UHLIG | RECHTSANWÄLTE 4L LEGAL

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